Am Swiss Cobotics Competence Center (S3C) arbeiten Forschende der BFH gemeinsam mit Industriepartnern an der Zukunft der Mensch-Roboter-Kollaboration. Prof. Gabriel Gruener und Dr. Dominic Gorecky erklären, warum kognitives Teaming entscheidend ist, wie Sicherheit garantiert wird und wo die Schweiz davon besonders profitieren kann.
Wo steht die Forschung heute bei der Mensch-Roboter-Kollaboration?
Gruener: Wir sind an einem Punkt, an dem Roboter nicht mehr nur abgeschottet hinter Schutzzäunen arbeiten, sondern direkt neben Menschen eingesetzt werden können. In den letzten Jahren haben wir grosse Fortschritte in der Sensorik und in den Steuerungsalgorithmen gemacht. Dadurch können Roboter ihre Umgebung besser wahrnehmen und Bewegungen des Menschen vorausschauend einschätzen. Das eröffnet neue Möglichkeiten für Produktionsumgebungen, in denen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit immer wichtiger werden.
Was sind die wichtigsten Fortschritte, die Sie am S3C erreichen konnten?
Gruener: Ein entscheidender Durchbruch ist die Fähigkeit, menschliche Bewegungen nicht nur zu erkennen, sondern auch vorherzusagen. Damit kann der Roboter antizipieren, was sein Partner als Nächstes tun wird und seine eigene Handlung darauf abstimmen. Dazu kommt die Weiterentwicklung von Sensoren, die viel feinfühliger reagieren als noch vor wenigen Jahren. Ein Cobot, der sofort merkt, wenn er auf Widerstand stösst, kann zum Beispiel seine Bewegung stoppen oder anpassen, was die Interaktion sicherer und natürlicher macht.
Warum ist die Industrie so stark an dieser Forschung interessiert?
Gorecky: Weil es um weit mehr geht als um Automatisierung. Unternehmen stehen heute unter Druck: Sie müssen flexibel produzieren, auf Fachkräftemangel reagieren und gleichzeitig höchste Qualität liefern. Klassische Industrieroboter sind extrem effizient, aber starr. Cobots hingegen lassen sich schnell umprogrammieren, können auf unterschiedliche Produkte reagieren und direkt mit Menschen zusammenarbeiten. Für viele Unternehmen ist das der Schlüssel, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies gilt insbesondere in Hochlohnländern wie der Schweiz.
Welche Rolle spielen dabei adaptive, personalisierte Cobots?
Gruener: Sie sind sozusagen der nächste Evolutionsschritt. Jeder Mensch arbeitet unterschiedlich: in der Geschwindigkeit, in der Kraft und in den Bewegungsabläufen. Ein adaptiver Roboter erkennt diese Unterschiede und stellt sich darauf ein. Das steigert nicht nur die Effizienz, sondern verbessert die Ergonomie. Ein Mitarbeitender, der nach seiner eigenen Arbeitsweise unterstützt wird, ist weniger gestresst und ermüdet nicht so schnell. Damit gewinnen wir Produktivität und Gesundheit zugleich.
Sie sprechen von kognitivem Teaming. Können Sie das Konzept erklären?
Gruener: Beim kognitiven Teaming geht es darum, dass Roboter nicht nur Befehle abarbeiten, sondern die Absichten ihrer menschlichen Partner verstehen. So wie in einem eingespielten Team, in dem man an einer Geste oder einem Blick erkennt, was der andere als Nächstes vorhat. Wenn Roboter in der Lage sind, dieses implizite Wissen zu nutzen, dann entsteht eine ganz neue Qualität der Zusammenarbeit. Wir sprechen hier nicht mehr von «Mensch bedient Maschine», sondern von einem echten Team, das sich gegenseitig ergänzt.
Wo liegen heute die grössten Grenzen der Mensch-Roboter-Kollaboration?
Gruener: Die Hauptgrenzen sind technischer und normativer Natur. Roboter könnten sich theoretisch viel schneller bewegen, doch Sicherheitsnormen setzen klare Limits und das ist auch richtig so. Gleichzeitig sind die Reaktionszeiten in der Kommunikation oft noch zu hoch, was flüssige Interaktionen erschwert. Wir arbeiten daran, sowohl die Technik robuster und schneller zu machen als auch neue Normen zu entwickeln, die Sicherheit gewährleisten und Innovation nicht bremsen.
Warum sind Kommunikationsprotokolle in diesem Zusammenhang so entscheidend?
Gorecky: Man kann es mit einer Sprache vergleichen: Wenn zwei Partner unterschiedliche Dialekte sprechen, brauchen sie länger, um sich zu verstehen. Genauso ist es mit dem Mensch und dem Roboter. Wenn die Kommunikationsprotokolle nicht standardisiert oder zu langsam sind, entstehen Verzögerungen und Missverständnisse. Für den industriellen Einsatz brauchen wir zuverlässige, schnelle Schnittstellen, die keine Interpretationsspielräume lassen. Das klingt banal, ist aber für die Praxis einer der grössten Hebel.
Wie gehen Sie mit Fragen der Cyber-Sicherheit um?
Gorecky: Sobald Roboter vernetzt sind, können sie auch Ziel von Angriffen werden. Deshalb denken wir Sicherheit vom Sensor bis zur Cloud mit. Es geht nicht nur darum, Daten zu verschlüsseln, sondern auch darum, klare Zugriffskontrollen und Redundanzen einzubauen. Ein Cobot muss nicht nur physisch sicher sein, sondern auch digital. Für Unternehmen ist Vertrauen hier zentral. Niemand möchte ein Produktionssystem betreiben, das durch einen Cyberangriff lahmgelegt werden kann.
Welche Robotergrössen und Schutzmassnahmen gelten heute als sicher?
Gruener: Kleinere Cobots können heute ohne Schutzzäune eingesetzt werden, sofern sie mit ausreichend Sensorik ausgestattet sind. Bei grösseren Robotern braucht es zusätzliche Schutzmassnahmen wie Laserscanner oder Kamerasysteme, die den Arbeitsbereich überwachen. Die Vision geht aber dahin, dass Roboter ihre Gefährlichkeit situativ regulieren können: Sie arbeiten vorsichtig und langsam, wenn Menschen in der Nähe sind, und entfalten ihre volle Geschwindigkeit nur dann, wenn der Bereich frei ist.
Welche Infrastruktur braucht es, damit Cobots wirklich alltagstauglich sind?
Gruener: Neben der eigentlichen Hardware ist eine stabile Infrastruktur entscheidend: zuverlässige Netzwerke, geringe Latenzen, schnelle Rechenleistung. Ohne diese Basis kann selbst die beste Steuerungssoftware nicht effizient arbeiten. Genau dafür ist das S3C wichtig. Wir bieten Unternehmen eine Umgebung, in der sie mit modernster Infrastruktur experimentieren und ihre Anwendungen realitätsnah testen können, bevor sie in die eigene Produktion investieren.
Sie kooperieren mit Hochschulen wie ETH, EPFL oder der TU Darmstadt. Was bringen diese Partnerschaften?
Gorecky: Sie bringen Expertise und ein starkes Netzwerk. Jede dieser Institutionen hat besondere Schwerpunkte – sei es in Robotik, künstlicher Intelligenz oder Ergonomie. Durch die Zusammenarbeit können wir Forschungsthemen schneller vorantreiben und gleichzeitig sicherstellen, dass unsere Ergebnisse international anschlussfähig sind. Für die Industriepartner bedeutet das Zugang zu gebündeltem Wissen, das weit über das hinausgeht, was ein einzelnes Forschungszentrum leisten könnte.
Welche Lehren ziehen Sie aus den Erfahrungen von Schweizer Unternehmen?
Gruener: Wir sehen immer wieder, dass Unternehmen mit grossen Erwartungen starten und dann feststellen, dass die eigentliche Herausforderung in der Integration liegt. Cobots sind keine Plug-and-Play-Lösung, sondern erfordern Schulung, Anpassung der Prozesse und manchmal auch einen Kulturwandel im Betrieb. Wer das versteht, erzielt grosse Erfolge. Wer es ignoriert, bleibt auf halber Strecke stehen. Das ist eine wichtige Lektion.
Können Sie ein Beispiel aus dem S3C-Labor nennen, das zeigt, wie Forschung in die Praxis geht?
Gruener: Ein aktuelles Projekt ist eine Montagezelle, in der Mensch und Roboter gemeinsam Bauteile zusammensetzen. Der Roboter erkennt in Echtzeit die Bewegungen seines Partners und passt sein Tempo an. Das wirkt im Labor fast unspektakulär, weil es so reibungslos läuft – technisch ist es aber anspruchsvoll. Genau solche Praxisbeispiele machen für unsere Partner greifbar, was Forschung bedeutet.
In welchen Schweizer Industrien sehen Sie den grössten kurzfristigen Nutzen von Cobots?
Gorecky: Ganz klar in Branchen, in denen Präzision und Ergonomie entscheidend sind: in der Medizintechnik, in der Uhrenindustrie und in der Präzisionsfertigung. Dort helfen Cobots, die Arbeitsqualität zu steigern und gleichzeitig die Belastung für die Mitarbeitenden zu reduzieren. Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit dieser Branchen und damit zugleich auch den Werkplatz Schweiz.
Welche Rolle spielt die europäische Produktion – gerade bei Service und Support?
Gorecky: Europa muss eigene Stärken ausspielen. Wir werden nie die günstigsten Produktionsstandorte sein, aber wir können die flexibelsten und zuverlässigsten sein. Service und Support in Kundennähe sind dafür entscheidend. Unternehmen wollen nicht Wochen warten, wenn eine Anlage stillsteht. Mit Cobots und den zugehörigen Dienstleistungen schaffen wir kurze Wege und hohe Verfügbarkeit. Das ist ein Wettbewerbsvorteil.
Wenn Sie drei bis fünf Jahre nach vorn schauen: Wo steht das S3C dann?
Gruener: In fünf Jahren wollen wir die führende Plattform für sichere und kognitive Mensch-Roboter-Kollaboration in Europa sein. Unternehmen sollen bei uns nicht nur Grundlagen erforschen, sondern konkrete Produkte und Prozesse validieren können. Das S3C wird dann ein Innovationsmotor für die gesamte Industrie sein, an dem Ideen direkt in marktfähige Lösungen übergehen.
Was motiviert Sie persönlich, diesen Weg zu gehen?
Gruener: Mich treibt die Überzeugung an, dass Technik den Menschen unterstützen soll, ohne ihn zu ersetzen. Roboter, die den Menschen verstehen, verändern nicht nur Produktionshallen, sondern auch die Art, wie wir Arbeit denken. Wenn wir das schaffen, leisten wir einen Beitrag dazu, dass Arbeit menschlicher, sicherer und nachhaltiger wird. Das ist für mich der grösste Antrieb.
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Text und Bild: Markus Back
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