Industriearmaturen: Aufbruch ins Datenparadies
Industriearmaturen: Aufbruch ins Datenparadies
Auf die Armaturenhersteller könnte dank Digitalisierung und Industrie 4.0 eine verheissungsvolle Zukunft warten. Mit extrem fallenden Fehlerquoten, hoher Kostenersparnis und vor allem grosser Wettbewerbsfähigkeit.
Digitalisierung und Industrie 4.0 haben längst Fahrt aufgenommen. Begeistert sind bereits viele Unternehmen aus der Armaturenbranche auf den Zug aufgesprungen. Unterwegs möchten sie ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken – mit vielen Eindrücken und vor allem unzähligen aussagekräftigen Daten. Entsprechend rollt der Umbruch mit hohem Tempo durch fast die gesamte Industrielandschaft. Auch wenn noch niemand exakt wissen kann, was ihn schliesslich bei Industrie 4.0 erwartet. Die Verheissungen erscheinen vielversprechend. Wartet hier das Industrie-Paradies?
Digital ist besser – und wird sich durchsetzen. Aus Sicht der TÜV Nord Group ist dieser Express nicht mehr aufzuhalten: «Digitalisierung ist das zentrale Zukunftsthema von Wirtschaft und Industrie.» Sie sei genauso ein Trend wie die Globalisierung oder die Urbanisierung, betont auch Christian Ziegler, Manager Marketing, Communication und Digitalization bei SMC.
Umsätze erhöhen, Kosten senken
Und die Umsetzung hat längst begonnen. So nutze der Grossanlagenbau die Möglichkeiten von Industrie 4.0 gezielt, «um Umsätze zu erhöhen, Produktentwicklungszeiten zu verkürzen und Kosten zu senken» erläutert Jürgen Nowicki, Sprecher der AGAB (VDMA Arbeitsgemeinschaft Grossanlagenbau) mit Blick auf die Studie «Potenziale von Industrie 4.0 im Grossanlagenbau» von 2017, die gemeinsam mit der Unternehmensberatung maexpartners erstellt wurde.
Datenverarbeitung in Echtzeit
Eine Entwicklung, die Armaturen- und Ventilhersteller mit zu vollziehen haben, wenn sie Schritt halten wollen. Denn in der Fertigung der Zukunft «wird Informationstechnologie eine grosse Rolle spielen – sowohl beim Betrieb und der Steuerung von Produktionsanlagen, als auch beim Zusammenführen und Auswerten von Maschinendaten oder Informationen zum Energieverbrauch», prognostiziert Festo, Anbieter von Steuerungs- und Automatisierungstechnik. Datenerhebung und -verarbeitung seien immer häufiger in Echtzeit möglich. Es entstünden neue Analysemöglichkeiten, zum Beispiel für eine vorausschauende Wartung oder die ganzheitliche Betrachtung von Energieströmen und -verbrauch, so das Unternehmen.
Dem Wettbewerbsdruck aus Schwellenländern standhalten
72 Prozent der Befragten bewerten laut dieser Studie die Chancen auf Umsatz- und Gewinnsteigerungen durch digitale Lieferungen und Leistungen als «sehr relevant». «14 Prozent der Studienteilnehmer erwarten auf dieser Basis sogar einen zusätzlichen Gewinn von über 10 Prozent in den kommenden fünf Jahren.» Aussichten, die helfen könnten, dem wachsenden Wettbewerbsdruck aus Schwellenländern wie China standzuhalten.
Und die Vernetzung beschränke sich nicht auf die eigene Fabrik, sondern fordere laut Festo auch zunehmend den Datenaustausch und Datenabgleich mit externen Systemen. Produktionsstandorte, Lieferanten und Kunden arbeiten künftig immer enger zusammen, prognostiziert Festo. «Dafür sind standardisierte Schnittstellen und Datenformate ebenso dringend erforderlich wie leistungsfähige Netzwerke und Verbindungen.»
Steigende dezentrale Automatisierung
Die Armaturenhersteller sind in Bewegung. «In den vergangenen Jahren gab es eine deutliche Zunahme bei der dezentralen Automatisierung von Prozessarmaturen, gerade in Verbindung mit der digitalen Kommunikation», bestätigt Sebastian Kundel, Produktmanager Automation Process Values bei Bürkert. Primär stünden Vorteile bei der Gestaltung, Planung und Bau der Anlagen im Vordergrund.
Die Nutzung der dezentralen Intelligenz zu Diagnosezwecken und der digitalen Übertragungsmöglichkeit von Daten habe hier noch geringen Anteil gehabt. Mittlerweile würden die technischen Möglichkeiten und der Umgang mit Softwarefunktionen immer selbstverständlicher. Es finde ein Umdenken hin zur vorteilhaften Nutzung von Zustandsdaten statt, so Kundel. «Eine globale Transparenz von Anlagen, Maschinen und Produktionsprozessen wird so möglich und erlaubt neue Geschäftsmodelle für Betrieb, Service und Wartung.»
Digitalisierung von Regelarmaturen
Laut Samson sind vor allem anspruchsvolle Regelarmaturen mit Stellungsreglern bestückt. Demgegenüber stünden einfache Armaturen – beispielsweise Auf/Zu-Armaturen –, die noch immer in erster Linie mit Magnetventilen und/oder Grenzsignalgebern ausgerüstet sind, berichtet Samson in einem Sonderdruck zu innovativer Regeltechnik über die Digitalisierung von Industriearmaturen. Ihre Digitalisierung sei lange nicht so weit fortgeschritten, wenngleich Samson auch hier Lösungen biete. «Einerseits müssen Armaturen Informationen an das Gesamtsystem weitergeben, andererseits müssen sie in der Lage sein, Informationen aus dem System zu empfangen». Im Fall von Auf/Zu-Armaturen sei noch «ein Stück Weg zurückzulegen», um den heutigen hohen Digitalisierungsstand von Regelarmaturen zu erreichen.
Erhöhte Anlagenverfügbarkeit
Auch Samson ist von der Digitalisierung vollends überzeugt. Sie erlaube beispielsweise eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung von Armaturen. Direkt erfassbare Grössen wie Sollwert, Istwert, Regeldifferenz und Antriebsdruck können kontinuierlich aufgenommen und in Zukunft noch um zusätzliche Informationen ergänzt werden.
Der Stellungsregler weist den Anwender frühzeitig auf Fehlzustände im und am Ventil hin, so Samson. Meldungen wie «Innere Leckage» oder «Defekt der Antriebsfedern» erfordern keine weitere Interpretation der Daten durch den Anwender. Die Digitalisierung ermöglicht zusammen mit der im Stellungsregler integrierten Ventildiagnose eine Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit, «da eventuelle Fehlzustände frühzeitig erkannt und behoben werden können». Ziel sei es laut Samson, zukünftig Fehlzustände sogar gänzlich zu vermeiden, was durch Ansätze wie vorausschauendes Fahren der Anlage, aber auch proaktives Wartungsmanagement erreicht werden könne.
Buerkert: Mit dreidimensionaler Integration zu Industrie 4.0
Interview mit Frank Hils, Geschäftsführer, Bürkert GmbH & Co. KG, Ingelfingen unter anderem mit Fragen zu wirtschaftlicher Entwicklung, Digitalisierung und Vernetzung. (Quelle: Youtube-Kanal Developmentscout)
Mit Software gestützte Feldgeräte
Massgebliche Treiber sind der generelle Anstieg des Automatisierungsgrades, die Anlagenverfügbarkeit und Produktivität bei gleichzeitig hohem Qualitätsanspruch. Parallel dazu ist der Umgang mit Software gestützten Feldgeräten Stand der Technik geworden, und mittlerweile sind viele Geräte in digitalisierter Ausführung am Markt. «Der Anteil der digital automatisierten Prozessventile ist nach starkem Wachstum auf einem erheblichen Niveau angelangt.» Bei IO-Link, einem Kommunikationssystem zur Anbindung intelligenter Sensoren und Aktoren an ein Automatisierungssystem, sei die Entwicklung allerdings noch nicht ganz abgeschlossen. Die Definition der für die Prozesstechnik wichtigen Eigenschaften in der Spezifikation ist noch im Gang, insbesondere im Hinblick auf die funktionale Sicherheit», erläutert Sebastian Kundel.
Regel- und Schaltarmaturen mit integrierter Intelligenz
Digitalisierung bedeutet laut Bürkert für Regel- und Schaltarmaturen integrierte Intelligenz einzubauen, um dezentralisierte Anlagenkonzepte zu realisieren. Das Unternehmen entwickelt solche Lösungen. Ein Beispiel sind die Ventilsysteme mit der Integration von Stellungs- /Prozessreglern und Steuerköpfen in das Prozessventil. Nur so könnten Prozessdaten über zum Beispiel Ventilstellung und Prozessgrösse sowie Diagnosedaten zu Funktionssicherheit, Restlebensdauer und Wartungsbedarf unmittelbar am Prozess selbst durch integrierte Sensorik und deren Auswertung verfügbar gemacht werden. Und in digitaler Form effektiv von der Feld- zur Leitebene übertragen werden.
Industriearmaturen: Report zum Weltmarkt
Industrie 4.0 als Philosophie
Digitalisierung und Industrie 4.0 beeinflussen die Kundenprodukte, die 4.0-fähig sein müssen, aber auch die internen Prozesse der Armaturenhersteller. Als Beispiel nennt SMC die papierlose Montage. «Früher gab es gedruckte Zeichnungen oder Montageanleitungen. Heute haben unsere Mitarbeiter in der Montage einen Tablet-PC, von dem aus sie auf die neuesten Anleitungen und Stücklisten zugreifen können. Dies minimiert die Fehleranfälligkeit sowie Medienbrüche», sagt Christian Ziegler, Digitalization-Manager bei SMC.
Aus Sicht von Ziegler sind Digitalisierung und Industrie 4.0 weder Produkt noch Dienstleistung, sondern eine Philosophie. Und eine 4.0-Lösung sieht je nach Kunde ganz anders aus beziehungsweise stellt ganz andere Anforderungen. «Allerdings gibt es natürlich grundsätzliche Trends, denen wir folgen.» Ein wichtiger Aspekt sind die horizontale und die vertikale Vernetzung. Daraus könnten weitere Anforderungen an die Produkte abgeleitet werden. Denn eine Vernetzung bedürfe entsprechender Schnittstellen. Es sei wichtig, dass dies herstellerübergreifend funktioniere. Laut Ziegler kristallisieren sich am Markt gewisse Standards heraus.
Produktdatenmanagement essenziell
Ein grundlegendes Element für die Umsetzung der Digitalisierung bei Bürkert ist PLM (Product Lifecycle Management). Dabei handelt es sich um die ganzheitliche, unternehmensweite Verwaltung und Steuerung aller Produktdaten und Prozesse des kompletten Lebenszyklus entlang der erweiterten Logistikkette – von der Konstruktion und Produktion über den Vertrieb bis hin zur Demontage und dem Recycling. «Dafür braucht es saubere Datenstrukturen, die garantieren, dass Informationen so abgelegt sind, dass sie bei Bedarf schnell gefunden werden, zum Beispiel Sachmerkmalleisten», betont Sebastian Kundel, Produktmanager Automation Process Values. Wichtige Basis dafür sei das Produktdatenmanagement (PDM), das Daten aus der Produktentwicklung speichert und sie den nachgelagerten Phasen des Produktlebenszyklus zur Verfügung stellt.
Quantensprung der Möglichkeiten
Digitalisierung bei Schalt- und Regelventilen bedeutet einen Quantensprung der Möglichkeiten in der Prozessautomatisierung. Die Vorteile sind vielfältig, so Bürkert. Grundsätzlich bietet der Ersatz analoger durch digitale Signalübertragung Auflösungserhöhung, Signalsicherheit und reduzierten Verdrahtungsaufwand durch Zusammenführung mehrerer Feldgeräte. Das vereinfache den Anlagenaufbau. Weitere Effekte seien eine vereinfachte Projektierung, Zeitersparnis bei der Verdrahtung, dem Mapping und der Inbetriebnahme.
«Anwender profitieren bei der Betriebssicherheit der Anlagen von höherer Transparenz, von besserer Verfügbarkeit durch wichtige Informationen zur vorbeugenden Wartung, vom schnellen und sicheren Gerätetausch sowie von der Dokumentation der hinterlegten, gerätespezifischen Informationen», erläutert Kundel. Dabei spiele die systematische und einfach zugängliche Datenstruktur der Automatisierungskomponenten bis zum Prozessventil eine zentrale Rolle. «Die Prozessführung selbst wird transparenter und erlaubt eine gezieltere Optimierung zur Steigerung der Effizienz.»
Unterschiedliche Digital-Standards
Doch wie gut kann die Implementierung der notwendigen Technologie gelingen? Unterschiedliche Standards in der digitalen Kommunikation als Grundlage für den Datenaustausch vom intelligenten Ventil zur Prozessleitebene erweisen sich oft als Hürden. «Einerseits sind Feldbus-Standards wie Profibus Stand der Technik, andererseits entwickelt sich Industrial Ethernet – wie beispielsweise Profinet, Ethernet IP, Modbus TCP – rasant weiter», so Kundel. Herausforderungen sind der sinnvolle Umgang mit den Diagnosedaten, also die Nutzung und Interpretation. Die Digitalisierung stelle auch die Mitarbeiter bei Planung, Bau, Installation, Inbetriebnahme und Betrieb der Anlagen vor neue Aufgaben.
Bereits auf der Valve World Expo 2018 ein Trendthema: Digitale Ventile. (Quelle: Youtube-Kanal Mhoch4 - Die Bewegtbildagentur)
Digitalisierung für hochautomatisierte Prozesse
«Besonders wichtig ist die Digitalisierung vor allem bei hochautomatisierten Prozessen. Produkte mit hohen Qualitätsstandards verlangen nach Validierung der Prozessabläufe», erläutert Kundel. Ganz besonders treffe das auf den Lebensmittel- und Pharmabereich oder die Biotechnologie zu. Hier gilt es, Stillstandzeiten nicht nur aus Kostengründen, sondern auch zur Absicherung der Produktqualität und Sicherheit zu vermeiden. «In Branchen mit geringerem Automatisierungsgrad hingegen ist auch die Bedeutung der Digitalisierung geringer.»
Trotz aller Vorteile lauern bei Industrie 4.0 auch Gefahren. So müssten laut Festo Lösungen für die IT-Sicherheit entwickelt werden – sowohl bezogen auf die Zuverlässigkeit der Systeme als auch auf ihre Absicherung gegen Angriffe von aussen. «Auch die Anforderungen für den Datenschutz, für den Schutz geistigen Eigentums und weitere rechtliche Rahmenbedingung müssen angepasst und weiterentwickelt werden.»
Kein Patentrezept
Gewiss ist aus Sicht von Bürkert, dass digitalisierte Armaturen – geregelt oder mit Schaltfunktion – in vielen Anwendungsbereichen Standard sein werden. Einfachheit und Funktionssicherheit für den Anwender würden weiterhin im Vordergrund stehen, aber angesichts der Informationsfülle «auf wesentlich höherem Niveau».
Ein anzuwendendes Patentrezept gebe es allerdings nicht. «Jeder muss sich überlegen, welche Möglichkeiten durch die Digitalisierung entstehen», unterstreicht Christian Ziegler von SMC. «Welche Elemente kann ich in meinen Produkten, Prozessen, Tools und Dienstleistungen auf welche Art einsetzen? Wichtig ist, dass man dies nicht mal so nebenbei angeht. Dafür ist das Thema zu wichtig. Das Top-Management muss dafür den Freiraum schaffen. Denn erst dann entsteht Kreativität.»
Aktuelle Technologien und Produkte sind auf der Valve World Expo, der Nr. 1 Messe für Industriearmaturen und Ventile, vom 1. bis 3. Dezember 2020 in den Hallen 1, 3 und 4 des Düsseldorfer Messegeländes zu sehen.
Impressum
Textquelle: Messe Düsseldorf
Bildquelle: Messe Düsseldorf
Publiziert von Technik und Wissen (eal)
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