Wohin führt Industrie 4.0?

Ein Worst-Case-Sznenario mit viel Optimismus

Wohin führt Industrie 4.0?

Ein Worst-Case-Sznenario mit viel Optimismus

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Warum wir künftig immer mehr über den Deckelrand hinausschauen müssen. Das erklärt unser heutiger Gastautor Thomas Menholz im folgenden Text, der zum Denken anstossen soll in puncto Arbeit 4.0, Ethik 4.0, Umwelt 4.0 und Gesellschaft 4.0 (Bild: Pixabay).


Vor einigen Jahren habe ich einen Film gesehen, ich weiss nicht mehr wie er hiess, in dem Menschen in einem Raumschiff nur noch von Maschinen und Computer-Systemen geführt wurden. D.h. die Menschen arbeiteten nicht, wurden automatisch ernährt, mit schnöder Unterhaltung weichgespült und künstlich fortgepflanzt. Die Folge war, dass die Gehirne verkümmerten während sich die Körper der Situation anpassten. Das Gewicht nahm zu und da es keinen Anlass zum Gehen mehr gab verkümmerten die Beine. Bemerkenswert war, dass die Menschen sich selbst gewollt in diese Situation geführt hatten. Das Raumschiff war nämlich die “Arche”, mit der die Menschheit eine zerstörte Erde verliess, um eine neue zu finden. Ihr Schicksal überliessen Sie dabei der künstlichen Intelligenz der Maschinen.
Sie fragen Sich nun, was dieser Vorspann mit der obigen Überschrift zu tun hat. Nun ja, seit einiger Zeit beschäftige ich mich, berufsbedingt und aus Eigeninteresse, mit der 4. industriellen Revolution. Im Detail mit Themen wie Automatisierung, Internet der Dinge, künstlicher Intelligenz, lernenden Maschinen, Robotern, Vorausschauender Analytik, virtueller und gemischter Realität. Dabei überlege ich mir, wie sich denn das Leben in sagen wir mal 30 Jahren darstellen wird. Sicher ist die extreme Darstellung des Science–Fiction-Films dafür unrealistisch, jedoch in Ansätzen dennoch möglich.

  • Jeder Prozess der digitalisiert werden kann wird digitalisiert
  • Jeder Job der durch einen Roboter ersetzt werden kann wird ersetzt - Alles was digital verbunden werden kann wird verbunden
  • Alles was automatisiert werden kann wird automatisiert
  • Alles was in digitalen Daten erfasst werden kann wird erfasst
  • Künstliche Intelligenz wird zum Standard um Entscheidungen zu Treffen
  • Maschinen sind untereinander vernetzt und wissen was als nächstes zu tun ist
  • «Augmented Reality» wird zum Standard bei Arbeitsabläufen. D.h. der Arbeiter wird geführt
  • Maschinen warten sich selbst mit «Predictive Maintenance»
  • Cloud – Speicher ersetzen komplett klassische IT – Strukturen
  • «Virtual Reality» wird Standard in der Produktentwicklung («Digital Twin»)
  • Der Materialfluss wird mittels «Autonomous Vehicles» gesteuert
  • «Machine Monitoring»–Systeme werden die Produktivität in Echtzeit
    überprüfen
  • Unternehmen werden dezentral und weltweit produzieren
  • Produkte werden ortsunabhängig «gedruckt» (3D-Printing)

Vorstehendes wird so kommen respektive ist in Teilaspekten heute schon Wirklichkeit. Hierbei werden neue Berufsbilder geschaffen aber auch Berufe, wie bei den zurückliegenden Industrialisierungsschritten auch, verschwinden. Kurzum, viele Jobs werden nicht mehr benötigt. Und das in allen Branchen sowie weltweit.
Laut einer Uno–Prognose werden 2050 zirka 9,2 Milliarden Menschen auf der Welt leben - also 1,8 Milliarden mehr als heute. Diese Menschen werden zudem eine signifikant höhere Lebenserwartung haben, weil natürlich das Gesundheitswesen ebenfalls von den Fortschritten der Industrie 4.0 profitieren wird.
Lassen wir einmal alle anderen Probleme, die diese Entwicklung mit sich bringt, beiseite und konzentrieren uns lediglich auf den Job–Aspekt. Es wird nur noch Arbeit für Menschen geben, die, gemessen an ihrem Ausbildungsniveau, sogenannte “High Skills” mit sich bringen. Zudem werden die passenden Jobangebote dazu rar sein. Deutschland hat heute bei zirka 82 Millionen Einwohnern 2,7 Millionen Arbeitslose. Prognostizieren wir einmal, durch die vorab vorgestellte Entwicklung, ein Worst-Case–Szenario mit 50 Prozent an nicht arbeitenden Einwohnern, kommen wir, die Uno–Prognose adaptiert, auf 50 Millionen Betroffene.

Achtung, Spoiler Anfang!

Was machen den diese 50 Millionen dann den ganzen Tag? Bzw. wie gestaltet sich deren Lebensunterhalt und Lebensinhalt? Spätestens jetzt kommt der Aspekt eines Grundeinkommens auf das Tableau. Für die Finanzierung gibt es dann eine Robotersteuer. Gut, das heisst die arbeitende Hälfte der Bevölkerung sowie die Roboter bezahlen also für die Existenz der nicht arbeitende Hälfte. Insofern sind also Unterkunft und Ernährung sicher gestellt. Ausgeschlossen sind diese Menschen aber von den vielen tollen Produkten, welche die Industrie 4.0 herstellt, schlichtweg, weil sie es sich nicht leisten können. Das weckt Begehren und die Beschaffungskriminalität wird steigen. Aber halt, wir haben ja dann die vorausschauende Analytik, die Verbrechen schon erkennt bevor Sie begangen werden. Denken Sie an den Sci-Fi-Film “Minority Report” von Steven Spielberg. Dort sitzen viele Menschen schon im Knast, weil Sie latente Verbrecher sind.

Wie wird aber Arbeit 4.0 in diesem Szenario aussehen? Auch hierzu einige Zukunftsthesen:

  • Die Landwirtschaft respektive die komplette Food-Industrie wird vollautomatisiert und GPS gesteuert sein. Lebensmittel werden in dieser Kette in Folge auch automatisch hergestellt
  • In Smart–Homes füllt sich der Kühlschrank und die Lebensmittelkammer bei Bedarf selbständig nach. Wir nehmen nur noch die Ware an der Haustür von autonomen Drohnen entgegen
  • Häuser werden in Modulen automatisch vorgefertigt und vor Ort von intelligent geführten Robotern «montiert»
  • Produkte werden menschenlos produziert und anhand künstlicher Intelligenz weiterentwickelt
  • Neue Ideen für Produkte werden von neuronalen Netzwerken entwickelt und gleichzeitig auch auf Absatz- und Profitchancen analysiert. Der Mensch muss also nur noch auf Start drücken, wenn überhaupt ...
  • Ein Produkt kann überall auf der Welt einfach auf 3D–Druckern just in time ausgedruckt werden
  • Eine Lagerhaltung ist nicht mehr notwendig, also entfällt auch weitestgehend die Transportlogistik für Lastwagen, Züge, Schiffe ...
  • Im Gesundheitssektor werden Diagnosen von stetig dazulernenden Maschinen gestellt. Operationen werden von OP–Robotern in einer Exaktheit durchgeführt, die kein Mensch vollbringen kann
  • Unternehmensentscheidungen werden in der Cloud auf Basis künstlicher Intelligenz getroffen
  • Verkäufer werden nicht mehr benötigt, weil wir unsere Kaufentscheidungen in der virtuellen Realität treffen und dort auch von sogenannten «Chatbots» beraten werden
  • Wenn doch noch ein Mensch gebraucht wird, um einfache Tätigkeiten auszuführen, wird er die abzuarbeitenden Arbeitsschritte direkt als Anweisung ins Auge projiziert bekommen («Augmented Reality»). Das heisst ein Erlernen von Fähigkeiten ist nicht mehr notwendig
  • Im Finanzsektor sind ebenfalls keine Menschen mehr notwendig, weil alle Abläufe digitalisiert sind. Heute haben wir hier ja schon z.B. den Auswuchs des Hochfrequenz-Handels
  • Autonome Autos, Flugzeuge und Schiffe sind Standard. Wir steigen also nur noch ein, geben ein Ziel ein, den Rest erledigt das Vehikel selbst

    Die Liste könnte mit Phantasie fortgeführt werden. Der Mensch in der Arbeit 4.0 hat also bestenfalls noch eine Überwachungsfunktion, die zeitlich und räumlich ungebunden ausgeführt werden kann. Wir werden eventuell nur noch 40 Stunden arbeiten, zumindest der arbeitende Anteil der Bevölkerung. Und das wohlbemerkt im Monat.
    Was bleibt? Ein grosser Anteil an Freizeit. Aber wir haben ja noch Kunst, Kultur, Sport, Reisen, Hobbys und sonstige Freizeitvergnügen, sofern eine Affinität dazu besteht. Aber irgendwann ist auch diesbezüglich alles ausgekostet. Es bleibt also: Langeweile. Und wenn es dem Menschen langweilig ist, flüchtet er in Scheinwelten, Drogen oder schnöde Unterhaltung. Verkümmert also der Intellekt, werden wir zu «Couch-Potatoes», mutieren unsere Körper ...?

 

Spoiler Ende!


Wie Sie bemerken, habe ich bewusst übertrieben und überspannt. Ich bin ein genereller Optimist und der Homo Sapiens hat 200’000 Jahre überlebt und auch in einer zugegeben kurzen Zeitspanne; drei industrielle Revolutionen. Wir werden auch die vierte überleben. Jede industrielle Revolution hat dabei zu mehr Wohlstand, Gesundheit und ausgewogener Work–Life Balance geführt. Industrie 4.0 wird alles exponentiell auf ein weiteres Level heben. Was wir aber nicht vergessen sollten, ist es, die Menschen auf dieser Reise mitzunehmen. Ich weiss, das ist in der Zwischenzeit auch eine abgedroschene Phrase geworden. Dennoch oder gerade darum sollten wir heute schon über den technischen Aspekt hinausschauen und uns mit Arbeit 4.0, Ethik 4.0, Umwelt 4.0 und Gesellschaft 4.0 beschäftigen. Es sind also Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft, Kultur, Philosophie und Regierung gefragt, über den Deckelrand hinaus zu schauen und zu denken.

3D Concepts
Radan Software

Impressum

Autor: Thomas Menholz ist Teilhaber und Sales Director bei der 3D Concepts GmbH. Das Unternehmen bietet innovative CAD/CAM-Lösungen für die Produktentwicklung und -fertigung sowie MRP/MES-Systeme für die Anbindung zu ERP-Lösungen. Surfcam und Edgecam im Zerspanungsbereich, Radan in der Blechbearbeitung. Alle drei sind Marken der Verosoftware Inc.

Publiziert von Redaktion TuW (dik)

Grafik: Pixabay

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