Schrittmotoren für 3D-Vermessung der Milchstrasse
1000 Glasfasern im Spektrographen positionieren
Schrittmotoren für 3D-Vermessung der Milchstrasse
1000 Glasfasern im Spektrographen positionieren
Eine präzise und exakt wiederholbare Positionierung ist für die moderne Automatisierungstechnik unabdingbar, z.B. in der Mikroproduktion, Kommunikation oder für neue Forschungsansätze. Die dort eingesetzten Komponenten kommen aber auch in eher exotischen Anwendungsgebieten wie der Astronomie zum Einsatz. Ein astronomischer Spektrograph mit über 1000 präzise positionierten Glasfasern zeigt, welches Potential heutige Mikropositioniersysteme haben.
Die Milchstrasse bekam ihren Namen, weil sie als weissliches Band am Himmel zu sehen ist. Mit Linsenfernrohren erkannte man dann den Scheibencharakter unserer Galaxie. Bei der weiteren Erforschung der scheibenförmigen Spiralgalaxie stossen die Astronomen jedoch aufgrund dieser Form auf ein grundsätzliches Problem: Die Erde selbst befindet sich in der Scheibenebene der Milchstrasse. Will man von hier aus in das Zentrum der Galaxie oder auf die andere Seite blicken, sind zahllose Sterne im Weg. Wo sich also Sonnen der Milchstrasse befinden, lässt sich aus irdischer Perspektive deshalb nur schwer ermitteln.
Galaktische Wissenslücken
Ein astronomisches Grossprojekt soll in naher Zukunft viele dieser Wissenslücken schliessen. Daran beteiligt sind acht Institute aus mehreren Ländern. Auftraggeber ist die Europäische Südsternwarte (European Southern Observatory, ESO). Diese Wissenschaftsorganisation betreibt in der chilenischen Atacama-Wüste einige der weltweit leistungsstärksten Teleskope. Zu ihnen gehört auch das Very Large Telescope (VLT) am Paranal-Observatorium mit einem Spiegeldurchmesser von 8,2 Metern.
Ziel ist, das VLT mit einem neuen Spektrographen auszustatten, der eine grosse Zahl kosmischer Objekte im sichtbaren und infraroten Spektrum gleichzeitig erfassen kann. Sein Akronym bezeichnet das ganze Projekt treffend: MOONS (Multi-Object Optical and Near-infrared Spectrograph) (Bild 1). Es wird vom United Kingdom Astronomy Technology Centre (UK ATC) in Edinburgh koordiniert.
Einzelne Spektren statt Foto
«Bei einer hochwertigen Fotokamera kann man die Objektive wechseln. Bei einem astronomischen Teleskop ist es andersherum – wir haben die hervorragenden Objektive des VLT und werden die ‚Kamera‘ gegen unser MOONS austauschen», erläutert Dr. William Taylor, Wissenschaftler am UK ATC. Mit seiner Technologie eröffnet MOONS ganz neue Möglichkeiten der Himmelsbeobachtung, auch wenn mit ihm keine grossflächigen Bilder entstehen. Stattdessen werden viele Einzelheiten detailliert ins Visier genommen.
Das funktioniert so: Die riesigen Linsen und Spiegel des VLT schwenken wie bisher auf den Himmelsausschnitt, der untersucht werden soll. Anschliessend werden im MOONS die Enden von genau 1001 optischen Fasern auf einzelne Objekte in dieser kosmischen Region ausgerichtet. Statt wie mit einer Kamera die ganze ausgewählte Fläche abzubilden, fokussiert das neue Instrument die Fasern auf bestimmte Punkte im Universum und zerlegt ihr Licht mittels Prismen in unterschiedliche Wellenlängen.
«Mit dieser Methode erhalten wir wesentlich mehr Information als aus einem einfachen Bild», erklärt Dr. Taylor. «Wir erfahren zum Beispiel etwas über die chemische Zusammensetzung der beobachteten Objekte. Ausserdem können wir ihre Dynamik – die Geschwindigkeit und Richtung der Bewegungen – berechnen. Da MOONS das nahe Infrarot-Spektrum erfasst, können wir die Rotverschiebung genau analysieren, der das Licht ferner Objekte auf seinem Weg zu uns unterliegt.» Wenn sich ein Stern von der Erde entfernt, wird die Wellenlänge seines Lichts länger.
Tausend Objekte im Blick
Bisher konnte man höchstens etwa hundert Objekte einzeln beobachten, und das auch nur im Bereich des sichtbaren Lichts. Mit MOONS wächst diese Zahl auf das Zehnfache und die Informationstiefe nimmt um ein Vielfaches zu.
«Tatsächlich gehört es zu den Zielen unseres Projekts, eine 3D-Karte der Milchstrasse zu erstellen. Ausserdem erlaubt uns die MOONS-Technologie, mit einer bisher unerreichten Auflösung sehr weit – und damit auch zeitlich sehr weit zurück – zu schauen. Wir werden uns so dem Urknall bis auf wenige hundert Millionen Jahre annähern können.» Damit erhalten die Wissenschaftler Einblick in die frühe Kindheit des Weltalls und zwar viel schärfer und detaillierter als früher, erklärt Dr. Taylor. «Wir werden in der Lage sein, neben der Milchstrasse auch das Universum in bisher unerreichter Tiefe zu kartieren.»
Dafür wollen die Astronomen in einem Zeitraum von etwa fünf Jahren viele Millionen Objekte ins Visier nehmen. Das kann nur gelingen, wenn die 1001 Lichtleitfasern des Spektrographen sich schnell und weitgehend automatisiert auf die kosmischen Ziele ausrichten lassen. Diese Aufgabe übernehmen ebenso viele Faserpositioniermodule (Fibre Positioning Units, FPU) (Bild 3).
Sie verfügen jeweils über zwei Antriebseinheiten aus je einem Schrittmotor und einem spielarmen Stirnradgetriebe. Das Getriebespiel wird dazu mittels einer Vorspannung durch gegensinniges Verdrehen der Getriebestränge und deren Verspannung auf dem Motorritzel auf ein Minimum eingestellt. Damit sind solche Getriebe ideal für Positionieraufgaben wie bei MOONS mit Forderung nach hoher Genauigkeit und geringem Drehmoment.
Faserpositioniereinheiten mit Schrittmotoren
Die hintere, sogenannte Alpha-Einheit bewegt dann die Zentralachse. Auf ihr ist exzentrisch die vordere Beta-Einheit befestigt, die gleichzeitig die Faserspitze bewegt. Durch die Kombination der zwei axialen Bewegungen deckt jedes Faserpositioniermodule eine kreisförmige Fläche ab, in der die Faser beliebig ausgerichtet werden kann. Diese Fläche überschneidet sich teilweise mit den Flächen der benachbarten FPUs. Auf diese Weise lässt sich jeder Punkt im Erfassungsbereich ansteuern. Um die benötigte Präzision zu gewährleisten und Kollisionen zwischen den FPU-Spitzen zu vermeiden, müssen die Systeme mit hoher Wiederholgenauigkeit arbeiten (Bild 4).
Aus der Erfahrung mit der Positionierung von Glasfasern im Telekommunikationsbereich mit ähnlichen Anforderungen an Präzisionsschrittmotoren war diese Anforderung ohne Probleme mit Standardprodukten zu erfüllen. Die hochwertigen Schrittmotoren von Faulhaber Precistep erlauben Voll-, Halb- und Mikroschrittbetrieb, sind langlebig und arbeiten in einem grossen Temperaturbereich zuverlässig (Bild 5).
Letzteres ist wichtig, da die Teleskopkuppel für die Aufnahmen in kalten Wüstennächten geöffnet werden muss. Zudem erlauben die Schrittmotoren einen kostengünstigen Positionierbetrieb ohne Impulsgeber. Die spielarmen Getriebe von Faulhaber Minimotor verbessern die Genauigkeit der Positionierung durch die Präzisionsuntersetzung weiter. Für die mechanische Konstruktion der FPU-Module ist die Faulhaber-Tochter MPS zuständig.
Massgeschneiderte Lösung
«Wir haben von allen drei beteiligten Unternehmen der Faulhaber-Gruppe sehr viel wertvollen Input bekommen», berichtet Dr. Steve Watson, der beim UK ATC für die Entwicklung der FPU zuständig ist. «Ohne ihr spezifisches Know-how hätten wir dieses zentrale Modul nicht in dieser Form entwickeln und vor allem nicht in der benötigten Stückzahl herstellen können.»
Teleskopzeit ist bei den begrenzten Zeitfenstern für astronomische Aufnahmen kostbar, neben der Geschwindigkeit bei der Ausrichtung der Lichtleitfasern kommt es aber natürlich auch auf deren höchste Präzision an.
«Wir erreichen eine Genauigkeit von 0,2 Grad und eine Reproduzierbarkeit der Position bis auf 20 Mikrometer. Angesichts der Länge der FPU und des modularen Aufbaus sind das herausragend gute Werte. Auch die korrekte Ausrichtung im Verhältnis zur Fokalplatte, auf der die Module angeordnet sind, bleibt in allen Positionen erhalten,» resümiert Watson.
Einfache Steuerung
Die hohe Präzision und extreme Zuverlässigkeit der Komponenten erlauben es, die Steuerung einfach zu halten – eine weitere Bedingung für einen reibungslosen Betrieb nicht nur beim Betrieb des Spektrographen. Komplexe Elektronik und Steuerungslogik wären eine grosse Hürde für die schnelle, gleichzeitige Ansteuerung von 1001 Einheiten.
Dank der hohen Qualität der Komponenten lässt sich die präzise Ausrichtung mittels einfacher Steuerung im offenen Regelkreis (open loop) erreichen. Zudem muss die Technologie sehr robust und praktisch wartungsfrei sein, um ihre Aufgaben über die geplante zehnjährige Einsatzzeit der Anlage ohne Unterbrechung zu erfüllen.
Projektmanager Dr. Alasdair Fairley ist zuversichtlich: «Die Arbeiten an MOONS kommen gut voran. Der Spektrograph wird voraussichtlich im Sommer 2021 installiert. Die Inbetriebnahme wird etwa ein halbes Jahr in Anspruch nehmen, sodass voraussichtlich Anfang 2022 die Kartierung der Milchstrasse beginnt. Danach gehen wir fest davon aus, dass die FPUs die geplanten zehn Jahre ohne Wartung voll funktionsfähig bleiben.»
Impressum
Autoren: Andreas Seegen, Leiter Marketing bei Faulhaber und Ellen-Christine Reiff, Redaktionsbüro Stutensee
Bildquelle: Diverse
Publiziert von Technik und Wissen (eal)
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