Bystronic erweitert sein Terrain: Der Schweizer Spezialist für Blechbearbeitung übernimmt den Geschäftsbereich «Tools for Materials Processing» von Coherent. Dahinter steckt mehr als nur eine einfache Wachstumsstrategie.
Redaktionelle Bearbeitung: Technik und Wissen
Es ist ein mutiger Schachzug: Bystronic, seit Jahrzehnten bekannt für Maschinen, die mit Lasern von mehreren Kilowatt Leistung Stahlbleche durchtrennen, steigt ins Geschäft mit Mikromaterialbearbeitung ein. Am 31. Oktober 2025 hat das Schweizer Unternehmen die Übernahme des Geschäftsbereichs «Tools for Materials Processing» von Coherent Inc. bekanntgegeben. Was auf den ersten Blick nach einer technischen Ergänzung aussieht, ist bei genauerer Betrachtung eine strategische Neuausrichtung: Bystronic diversifiziert sich weg von der zyklischen Industrien hin zu den stabileren Märkten der Medizintechnik und Halbleiter.
Mit der Akquisition erwirbt Bystronic nicht nur 400 Mitarbeitende und einen Jahresumsatz von rund 100 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen sichert sich auch die Rechte an der traditionsreichen Marke Rofin, die künftig als «Bystronic Rofin» weitergeführt wird. Für Kenner der Branche ist das mehr als symbolisch: Rofin stand jahrzehntelang für hochpräzise Lasertechnologie, bevor das Unternehmen 2016 von Coherent übernommen wurde. Jetzt kehrt die Marke gewissermassen in den deutschsprachigen Raum zurück, der Hauptsitz liegt in Gilching bei München.
Die strategische Logik
Die Akquisition bringt rund 400 Mitarbeitende und einen Jahresumsatz von etwa 100 Millionen US-Dollar in den Bystronic-Konzern. Das klingt zunächst nach einer überschaubaren Transaktion für einen Konzern, der selbst einen Umsatz im Bereich von 750 Millionen Franken erzielt. Doch die strategische Bedeutung lässt sich nicht in reinen Zahlen ausdrücken. Bystronic kauft sich Zugang zu Märkten, die andere Wachstumsraten versprechen als das zyklische Geschäft mit Blech verarbeitenden Betrieben.
Die Renaissance der Marke Rofin
Was Bystronic damit gewinnt, ist Expertise in Anwendungen, die in eine völlig andere Grössenordnung vordringen. Während in Niederönz Laser mit mehreren Kilowatt Leistung Stahlbleche durchtrennen, geht es bei den neuen Produkten um Mikromaterialbearbeitung: Das Schneiden von Stents und Kathetern, das Markieren von Dentalimplantaten, das Schweissen von Führungsdrähten für minimalinvasive Eingriffe. Es sind Anwendungen, bei denen Präzision im Mikrometerbereich gefordert ist.
Drei Wachstumsmärkte im Visier
Die Strategie dahinter erschliesst sich beim Blick auf die Zielmärkte:
1. Medizinprodukte
Ein Sektor, der demografiebedingt kontinuierlich wächst und weniger konjunkturanfällig ist als der klassische Maschinenbau.
2. Halbleiterindustrie
Laser beim Wafer-Dicing, bei der Oberflächenbearbeitung und beim Markieren. Ein Markt, der trotz zyklischer Schwankungen langfristig vom Digitalisierungstrend profitiert.
3. Allgemeine Fertigung
Vom Markieren elektronischer Bauteile bis zum Batterieschweissen.
Die Marktchancen in Zahlen
Gesamtmarkt (2024): 4,2 Milliarden US-Dollar adressierbarer Markt
Wachstumsrate: 4 bis 5 Prozent CAGR von 2024 bis 2030 (inflationsbereinigt, basierend auf konstanter Inflation von 2 Prozent)
Regionale Wachstumsdynamik:
- Europa: moderates Wachstum erwartet
- Nordamerika und Taiwan: höhere Wachstumsraten
Marktanteile (2024):
- Europäische Unternehmen: fast 50 Prozent des Gesamtmarkts
- Aktueller Marktanteil des erworbenen Geschäftsbereichs: 3 bis 4 Prozent global
Diese Zahlen sind auf dem Stand von 2024 und inflationsbereinigt. Das lässt reichlich Raum für organisches Wachstum, zumal Bystronic seine etablierten Vertriebskanäle in Asien und Amerika nutzen könnte, um die Reichweite der neuen Produkte zu erhöhen.
Diversifikation als Überlebensstrategie
CEO Domenico Iacovelli formuliert es diplomatisch, wenn er von «angrenzenden Anwendungsbereichen» spricht. Tatsächlich ist es eine klassische Diversifikationsstrategie. Bystronic war bislang stärker abhängig von notorisch zyklischen Industrien und solchen, die unter geopolitischen Spannungen leiden. Die Erweiterung um medizinische Anwendungen und Halbleitertechnologie erhöht die Resilienz des Geschäftsmodells erheblich.
Die Lasertechnologie bildet dabei die gemeinsame Klammer. Ob man nun Blech schneidet oder einen Stent filigran aus einem Metallröhrchen herauslasert, die physikalischen Grundprinzipien bleiben ähnlich. Es geht um Wellenlängen, Pulsfrequenzen, Fokussierung und Materialinteraktion. Bystronic kann also tatsächlich auf bestehendes Know-how zurückgreifen, auch wenn die Anwendungen völlig unterschiedlich erscheinen.
Die offenen Fragen und ein Blick in die Zukunft
Was kostet die Übernahme?
Was Bystronic nicht verrät: den Kaufpreis. Die Pressemitteilung spricht vage von «vertraulichen Einzelheiten». Bei einem Jahresumsatz von rund 100 Millionen Dollar und der Profitabilität des Geschäftsbereichs lässt sich spekulieren, dass die Transaktion im mittleren bis oberen zweistelligen Millionenbereich liegt. Für Bystronic mit einer Marktkapitalisierung von gut einer halben Milliarde Franken wäre das eine substanzielle Investition.
Regulatorische Hürden
Die Transaktion steht unter dem Vorbehalt weiterer Genehmigungen und wird voraussichtlich in den kommenden Monaten abgeschlossen sein.
Die Rolle von Coherent
Die Akquisition zeigt auch, dass Coherent selbst eine Fokussierungsstrategie verfolgt. Der US-Konzern konzentriert sich zunehmend auf Rechenzentren und Kommunikationstechnologie. Spezialisierte Industrieanwendungen passen da weniger ins Portfolio, so lukrativ sie auch sein mögen.
Für Bystronic dagegen ist es genau die richtige Ergänzung: industriell, präzise, mit langfristigen Wachstumsaussichten.
Ein Blick in die Zukunft
Interessant wird sein, wie schnell Bystronic das neue Geschäft skalieren kann. Der erworbene Geschäftsbereich hält laut Präsentation einen globalen Marktanteil von 3 bis 4 Prozent. Das lässt reichlich Raum für organisches Wachstum. Zudem könnte Bystronic seine etablierten Vertriebskanäle in Asien und Amerika nutzen, um die Reichweite der neuen Produkte zu erhöhen.
Das Urteil: Eine strategisch kluge Wette
Ob die Rechnung aufgeht, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Der Schweizer Maschinenbau hat schon oft bewiesen, dass er auch in Nischenmärkten erfolgreich sein kann. Mit dem Schritt in die Mikrowelt wagt Bystronic einen Spagat zwischen zwei Welten.
Gelingt er, könnte das Unternehmen tatsächlich widerstandsfähiger werden gegen die Stürme der Weltwirtschaft. Die Diversifikation in weniger zyklische Märkte, die technologische Verwandtschaft und die Möglichkeit, bestehende Stärken zu nutzen, sprechen dafür.
Scheitert er, war es ein teurer Ausflug in fremdes Terrain. Die Integration zweier unterschiedlicher Geschäftsmodelle, die Erschliessung neuer Kundengruppen und der Aufbau von Know-how in neuen Märkten sind anspruchsvoll.
Die Wette läuft. Und sie ist durchaus bemerkenswert: Ein mittelständischer Schweizer Maschinenbauer, der seit Jahrzehnten Blech schneidet, kauft sich in die Welt der Medizintechnik und Halbleiter ein. Das zeugt von Mut, strategischem Weitblick und dem Willen, sich nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen.
Quellen:
- Bystronic AG, Ad-hoc-Mitteilung gemäss Art. 53 LR vom 31. Oktober 2025
- Bystronic Pressekonferenz am 31.10.2025
- Bystronic AG, Investor Presentation «Acquisition BU Tools for Materials Processing of Coherent Inc.» vom 31. Oktober 2025
- Coherent Inc., Unternehmensangaben
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