Von blockierten WTO-Schiedsgerichten über amerikanische Handelsdefizite bis zu Schweizer Überregulierung: Auf der Sindex 2025 sprach Guy Parmelin beim Gespräch mit swissT.net-Präsident René Brugger Klartext. Mal diplomatisch, mal bildhaft – etwa wenn er die Schweiz «nackt auf dem Gipfel des Everest» sieht.


Von Eugen Albisser, Chefredaktor Digital (Text und Bild)

René Brugger: Herr Bundesrat, wenn Sie am Morgen aufstehen, wie hat sich die Planbarkeit Ihres Tages in den letzten Wochen verändert?

Guy Parmelin: Ein bisschen.

Wo am meisten?

Guy Parmelin: Es gibt mehrere Dringlichkeiten. Nicht nur wegen der USA: Die geopolitische Lage hat sich allgemein verändert. Man sieht zum Beispiel in Deutschland, dass es für viele unserer Unterlieferanten seit längerem schwierig ist, und das wirkt sich international aus. Solche Reaktionen in anderen Ländern entfalten Nebenwirkungen – auch negative – in der Weltwirtschaft.
Neben den wirtschaftlichen Themen läuft innenpolitisch die normale «politische Küche»: Nächste Woche beginnt die Session, und es kommen voraussichtlich diverse parlamentarische Vorstösse mit der Frage, was wir zusätzlich tun können.

Sie sprechen Unterlieferanten in der Schweizer Technologieindustrie an. Was hören Sie von Unternehmerinnen und Unternehmern – wie ist die Stimmung?

Guy Parmelin: Seit Beginn nutzen wir verschiedene Instrumente und setzen auf direkte Kommunikation mit der Wirtschaft. Wir haben unter anderem ein Webinar mit rund 200 Teilnehmenden durchgeführt, um zu erläutern, was der Bund tun kann. Wir arbeiten zudem mit Switzerland Global Enterprise zusammen und mit der Exportrisikoversicherung SERV. Ziel ist, administrative Belastungen abzubauen – sicher nicht noch auszubauen.

Ich organisiere bald einen Runden Tisch mit der Exportindustrie – nicht nur mit Verbänden, sondern auch mit Unternehmerinnen und Unternehmern, die direkt betroffen sind. Voraussichtlich beziehen wir auch die Sozialpartner ein. Diese Kontakte sind hilfreich.
Es gibt eine Hotline bzw. Kontaktstelle, die Firmen niederschwellig unterstützt – das hilft gerade KMU. Über solche Kanäle können wir ganz konkret helfen.

Könnte es sein, dass sich das Ganze quasi übermorgen erledigt – etwa falls das amerikanische Bundesgericht etwas entscheidet?

Guy Parmelin: Übermorgen ist wohl zu früh. Wir haben aber ein Zeitfenster bis etwa Ende Oktober – nicht nur für die Schweiz; andere Länder sind von ähnlichen Fragen betroffen. Ich war gestern in London; dort nimmt man die Lage ebenfalls sehr aufmerksam wahr.
Jetzt braucht es ein Signal aus den USA. Unser Angebot ist eine erste Etappe. Danach muss es der Botschafter nach Washington tragen und dem Präsidenten vorlegen. Beim letzten Mal fanden die zuständigen Departemente das Angebot ungenügend; der Präsident bemängelte insbesondere das Handelsbilanzdefizit und verlangte Nacharbeit. Wir sind im Kontakt, verbessern weiter und wollen sicherstellen, dass die US-Sicht adressiert ist. Wir sind auf gutem Weg – aber am Ende braucht es auch Gespräche mit dem Präsidenten. Das bleibt offen; wir arbeiten intensiv daran.

Was wir mit den USA erleben – ist das ein Exempel, das Schule macht? Es gibt ja weitere autokratische Regierungen.

Guy Parmelin: Schwer zu sagen – aber ja, Protektionismus nimmt zu. Die WTO ist faktisch blockiert, weil die Ernennung von Mitgliedern des Berufungsgremiums verhindert wurde. Wir können Verfahren zwar einleiten, aber das Berufungssystem funktioniert nicht mehr, sodass Fälle hängenbleiben. Ein Beispiel: 2018 gewannen wir einen Fall – danach wurde Berufung eingelegt, und seither ist das Verfahren blockiert.
Mit einigen Partnern haben wir ein provisorisches Streitbeilegungssystem eingerichtet. Mit den USA gibt es das nicht.

Neben Zöllen sehen wir vermehrt technische und regulatorische Hürden, die häufiger als Marktzugangsinstrument genutzt werden. Das schmälert Wettbewerbsfähigkeit, zumal internationale Regelwerke derzeit nicht mehr reibungslos greifen.»

Und innenpolitisch: Ändert sich die Stimmung gegenüber Freihandelsabkommen? Sieht man deren Wert stärker, und gibt es weniger opportunistische Angriffe?

Guy Parmelin: Mein Eindruck: Ein Teil von Politik und Bevölkerung erkennt, dass sich die Weltlage verändert. Vor einem Jahr bis anderthalb Jahren hätte ein Freihandelsabkommen wohl keine Mehrheit gefunden – die Rahmenbedingungen fehlten. Heute scheint es eher möglich: Wir haben gut verhandelt. Der Weg führt zuerst durchs Parlament, dann – falls nötig – vors Volk. Wichtig ist, gute Argumente offenzulegen und zu zeigen, dass die Konzessionen tragbar sind.
Die Landwirtschaft bleibt ein sensibles Feld. Vergleiche mit der EU zeigen ausserdem, dass die Ausgangslage unterschiedlich ist.

Wir arbeiten parallel an weiteren Abkommen – etwa mit Indien – und ich denke, die Bevölkerung versteht zunehmend, worum es geht. Gleichzeitig fordern manche Anträge mehr Regulierung und damit mehr Kosten – ohne systematisch zu fragen, ob wir dadurch Wettbewerbsvorteile verlieren.
Die EU prüft selbst, Überregulierung zurückzufahren. Wenn die EU dereguliert und wir zusätzlich regulieren oder auf dem Status quo verharren, verschlechtert sich unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das heisst nicht, dass wir bei Klima- und CO₂-Themen nichts tun sollen – aber wir müssen es koordiniert tun.

Die Schweiz allein nützt wenig: Sonst stehen wir sinnbildlich «nackt auf dem Gipfel des Everest», die anderen lachen – und wir verlieren. Es braucht einen breiten Konsens – politisch und entlang verschiedener Pfade. Soweit sind wir noch nicht.

René Brugger: Danke für die klare Ansage. Herzlichen Dank, Herr Bundesrat, für das Gespräch hier auf der Sindex-Bühne.

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