Herstellerunabhängiges und softwarezentriertes Automatisieren: Was es bringt und wie es gelingt
Proprietäre Steuerungssysteme erschweren die anbieterübergreifende Zusammenführung von Komponenten und verkomplizieren das Engineering flexibler, modularer Anlagen. Mit EcoStruxure Automation Expert hat Schneider Electric ein Engineering-Tool auf den Markt gebracht, das Maschinenbauer und Anwender konkret von den Vorteilen einer herstellerunabhängigen und softwarezentrierten Automatisierung profitieren lässt. Grundlage ist die Norm IEC61499.
Autor: Michael Gieselmann, Senior Product Manager EU Automation DACH bei Schneider Electric
Automatisierungstechnik hatte schon immer etwas Faszinierendes. Ein von menschlichem Zutun weitestgehend autonomes System fertigt mit penibler Akkuratesse ein Produkt an oder übt eine komplexe handwerkliche Tätigkeit aus. Das hat nicht nur in Kinderaugen seine ganz eigene Anziehungskraft. Und was ist heute nicht alles möglich. Technische Komponenten wie Greifarme, Abfüller oder Fördersysteme können nahezu beliebig filigrane Bewegungsabläufe oder Arbeitsschritte ausführen – und das in schnellster Taktung. Praktisch sämtlichen Industriezweigen hat das in den vergangenen Jahren noch einmal einen enormen Schub in Sachen Produktivität verliehen.
Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass das Potenzial moderner Automatisierungstechnik vielerorts noch nicht vollständig abrufbar ist. Der Grund: Proprietäre Steuerungssysteme erschweren die anbieterübergreifende Zusammenführung von Komponenten und verkomplizieren das Engineering flexibler, modularer Anlagen. Eine Ausgangslage, die erklärt, wieso der Ruf nach einer herstellerunabhängigen Automatisierungslogik heute immer deutlicher zu vernehmen ist – insbesondere vonseiten der Maschinenbauer und deren Kunden. Aber auch einzelne Automatisierungshersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt. Mit EcoStruxure Automation Expert hat etwa Tech-Konzern Schneider Electric ein Engineering-Tool auf den Markt gebracht, das Maschinenbauer und Anwender bereits ganz konkret von den Vorteilen einer herstellerunabhängigen und softwarezentrierten Automatisierung profitieren lässt. Grundlage ist die Norm IEC61499.
Die Basics: Mit IEC61499 objektorientiert, hardwareunabhängig und dezentral automatisieren
Die Entstehung der IEC Norm 61499 verdankt sich der Erkenntnis, dass ein steuerungszentrierter und herstellerabhängiger Automatisierungsansatz langfristig nicht für die Umsetzung flexibler, leicht umrüstbarer und hochkomplexer Anlagen geeignet ist. Im Gegensatz zur momentan meist gängigen IEC61131 wird in IEC61499 daher ein Ansatz vorgeschlagen, bei dem die Steuerungslogik nicht länger Sache eines zentralen Controllers ist, sondern die Programmstrukturen frei auf sämtliche mit einer CPU ausgestatteten Feldgeräte aufgeteilt werden können.
Gemäss IEC61499 wird dabei kein verfahrensorientierter, sondern ein objektorientierter Automatisierungsansatz verfolgt, bei dem mit herstellerunabhängigen und für andere Projekte leicht wiederzuverwendenden Softwareobjekten gearbeitet wird. Diese Softwareobjekte, sogenannte Funktionsblöcke, bilden je nach Bedarf entweder einzelne Devices – zum Beispiel einen Motor – oder auch zusammenhängende Anwendungen – etwa eine ganze Abfüllanlage – mit ihren jeweiligen Aspekten ab. Zu diesen Aspekten gehören Steuerungslogik, Visualisierung, Ein- und Ausgänge, Test und Simulation, Dokumentation oder der Kommunikationspfad.
Dass all diese Aspekte in einem Softwareobjekt gekapselt werden können schon bevor der Engineeringprozess beginnt, hat zur Folge, dass sich die Arbeitsschritte Programmierung und Engineering nun deutlicher voneinander unterscheiden. Insbesondere das Engineering (für den Anwendungs- oder Projektingenieur) gestaltet sich erheblich einfacher. Zusätzlich wird die herstellerunabhängige Wiederverwendbarkeit der Softwareobjekte – und damit das weniger fehleranfällige Engineering – dadurch erleichtert, dass bei IEC61499 keine globalen Variablen zur Anwendung kommen.
Mehr als eine Idee: UniversalAutomation.Org entwickelt das Fundament für herstellerunabhängige Automatisierung
Eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren eines Hard- und Software-entkoppelnden Ansatzes ist – neben ausreichend Rechenleistung in den Feldgeräten und hoher Datenübertragungsraten für eine echtzeitfähige Steuerung – das Vorhandensein einer herstellerunabhängigen Runtime-Umgebung. Diese stellt sicher, dass die Hardwarekomponenten von ihrer Bindung an die Entwicklungsumgebung eines bestimmten Herstellers gelöst werden können.
Im Unterschied zu einem interoperablen Kommunikationsstandard zwischen den Komponenten, setzt diese Runtime-Umgebung direkt am eigentlichen Kern der Komponenten an und schafft einen gemeinsamen Nenner, um beispielsweise die Interoperabilität von Steuerungen auf einer grundlegenden Ebene sicherzustellen. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich die softwareseitig erstellten Anwendungen hardwareunabhängig auf die Feldgeräte aufspielen lassen.
Die im vergangenen Jahr neu gegründete Non-Profit-Organisation UniversalAutomation.Org hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Referenzimplementierung einer solchen IEC61499-basierten Runtime-Umgebung zu verwalten und weiterzuentwickeln. Auf diese Weise steht ab sofort eine technische Grundlage für herstellerunabhängige Automatisierung zur Verfügung, die andernfalls durch einzelne Unternehmen aufwändig entwickelt und implementiert werden müsste. Zu den Mitgliedern der UniversalAutomation.Org zählen internationale Industrieunternehmen, Hersteller, OEMs, Systemintegratoren, Start-ups und Universitäten.
Mehr Freiheiten für Engineering und Maschinenentwicklung
Design, Engineering und Inbetriebnahme komplexer, zeitgemässer Industrieanlagen sind heutzutage mit einem immensen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Insbesondere dann, wenn es darum geht, herstellerheterogene Maschinenlandschaften zusammenzuführen oder die Interoperabilität verschiedener Steuerungen sicherzustellen. Einer kreativen und freien Entwicklung noch nachhaltigerer, innovativerer Maschinen steht dieser Aufwand oft im Weg. Aber gerade hier, beim Engineering, spielt ein herstellerunabhängiger und softwarezentrierter Automatisierungsansatz nach IEC61499 seine enormen Stärken aus. Am Beispiel des Engineering-Tools EcoStruxure Automation Expert von Tech-Konzern Schneider Electric lassen sich die Vorteile exemplarisch verdeutlichen.
Zunächst einmal folgt EcoStruxure Automation Expert der in IEC61499 angelegten Logik und abstrahiert die Software von der Hardware. Heisst: Es wird eine von der Hardware vollkommen losgelöste, geräte- und anwendungsübergreifende Softwareschicht geschaffen, innerhalb der die von IEC61499 beschriebenen, wiederverwendbaren Softwareobjekte praktisch beliebig zur gewünschten Anwendungssequenz zusammengeschaltet werden können. Und das, noch bevor überhaupt ein einziges Stück Stahl verbaut werden muss. Sind die einzelnen Funktionsbausteine einmal von entsprechenden Experten programmiert, werden sie als Typ in herstellerunabhängigen Funktionsbibliotheken abgelegt und sind für jedes passende Projekt in Form einer Instanz verwendbar. Mithilfe der instanzierten Funktionsblöcke ist es dann möglich, die gewünschte Anwendungssequenz rein grafisch zu modellieren.
Im EcoStruxure Automation Expert von Schneider Electric erfolgt das zum Beispiel per eingängigem Single-Line-Engineering, also dem einfachen Ziehen von Verbindungslinien zwischen zusammengehörigen Funktionsbausteinen. Die Querkommunikation zwischen den später verwendeten Steuerungskomponenten wird dann eigenständig durch die Software konfiguriert und softwareseitig erstellte Maschinenabläufe können bereits vorab simuliert und getestet werden. Einem vereinfachten, weniger fehleranfälligen und vor allem kreativeren Engineering kommt das sehr entgegen.
Auch wenn die Anwendungssoftware innerhalb einer zentralen und von der Hardware abstrahierten Softwareschicht erstellt und modelliert wird, ist es später nicht notwendig, diese Anwendungssoftware über eine zentrale SPS-Steuerung auszuführen. Vielmehr ist es im Sinne von IEC61499 möglich, die Anwendungssoftware aufzuteilen und auf die jeweils zuständigen Hardwarekomponenten zu verteilen. So existiert kein Single-Point-of-Failure und eine Anlage kann über die Zeit hinweg viel flexibler und agiler umgerüstet werden. Hierbei spielt auch eine wichtige Rolle, dass automatisierte Anwendungen nach IEC61499 grundsätzlich keiner zyklischen, sondern einer eventbasierten Ausführungslogik folgen. Einzelne Funktionen werden nur dann aktiv, wenn ein bestimmtes Event sie triggert. Auch dadurch ergeben sich deutlich mehr Freiheiten für das Engineering.
Das unternehmerische Potenzial
Neben den erwähnten Vorteilen für das Engineering – und damit für eine weniger aufwendige und kürzere Maschinenentwicklung – bietet ein herstellerunabhängiger und softwarezentrierter Automatisierungsansatz immenses unternehmerisches Potenzial. Neben flexibleren Anlagen, die leicht umgerüstet werden können, macht die prinzipielle Hardwareunabhängigkeit auch eine gewisse Unabhängigkeit von Lieferketten oder Produktverfügbarkeiten möglich. Ausserdem ist es im Sinne dieses Ansatzes so, dass sich einmal erstellte Softwareobjekte auf nahezu allen Anlagen einsetzen lassen. Auf diese Weise ist eine Art «App-Store» für die Automatisierung denkbar, aus dem passende Softwareanwendungen – auch kleiner, spezialisierter Entwicklerstudios – heruntergeladen und per Plug-and-Produce in eine Maschine integriert werden können. Was also in der IT-Welt schon lange möglich ist, liesse sich damit auch für die Automatisierung nutzen.
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