Der Wandel hin zur Elektromobilität ist für die Zulieferfirmen der Automobilindustrie mit grossen Herausforderungen verbunden. Ein Unternehmen, dass diese bislang sehr erfolgreich gemeistert hat, ist die ZF Friedrichshafen. Im Gespräch mit Julian Fieres, Vice President Transformation, Strategy, Sustainability & Digital im Bereich Electrified Powertrain Technology bei ZF.
Autor: Markus Back, Chefredaktor Print
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70 Prozent des Konzernumsatzes der ZF Friedrichshafen stammen aus der individuellen Mobilität, allen voran die Produktion von Getrieben. Was bedeutet die Elektromobilität für ein Zulieferunternehmen wie ZF?
Die 70 Prozent des Konzernumsatzes bestehen nicht nur aus Verkäufen klassischer Getriebe. 2014 war ZF zu zwei Dritteln von Getrieben für Verbrennungsmotoren abhängig, heute nur noch zu 30 Prozent. Wir befinden uns aktuell in einer Transformation weg vom klassischen Getriebe – und das sehr erfolgreich: In der E-Mobilität beläuft sich der Auftragsbestand für elektrifizierte Antriebe für Pkw und Nutzfahrzeuge inzwischen auf mehr als 30 Milliarden Euro. Das ermöglicht ZF, den Wandel von klassischen Getrieben hin zu elektrischen Antriebslösungen zu vollziehen.
Über zwei Millionen Elektromotoren für unterschiedlichste Anwendungen verkauft
Wo sieht ZF die Möglichkeit für neue Geschäftsfelder? Könnten sich diese zum Beispiel in Lösungen für batterieelektrische Antriebe oder Leichtbaukonzepten finden lassen?
Elektromobilität ist für ZF kein neues Geschäftsfeld: im Jahr 2008 startete ZF als erstes Unternehmen in Europa die Serienproduktion von E-Maschinen für Autos. Erster Einsatz: im Mildhybrid-Antriebsstrang einer Limousine der Oberklasse. Bis heute, 15 Jahre später, hat der Technologiekonzern bereits über zwei Millionen Elektromotoren für die unterschiedlichsten Anwendungen verkauft. Bereits in knapp zwei Jahren rechnet ZF damit, dass sich diese Zahl verdoppelt hat. Und angesichts des Wachstums in der E-Mobilität ist das keine unerreichbare Zielsetzung.
«Sind und bleiben ein Spezialist für innovative und effiziente Systemintegration im Antriebsstrang»
Die ZF hat seit ihrer Gründung vor über 100 Jahren ein enormes Know-how im Bereich der Getriebe aufgebaut. Was passiert mit diesem Wissen, wenn eines Tages keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr gebaut werden dürfen?
Grundsätzlich ist es so, dass ein E-Antrieb auch einen Getriebeanteil hat. Dieses Reduziergetriebe bringt vereinfacht gesagt die Drehzahl des E-Motors auf die Strasse. Hier hat ZF auf Grund seiner historischen Expertise grosses Know-how. Nachweis dafür, dass wir hier auch im Zeitalter der Elektromobilität Innovationen in den Markt bringen, sind die Getriebe, die wir in unsere E-Antriebe einbauen und die von anderen Antriebsbauern als Komponente von ZF zugekauft werden. Darüber hinaus übernimmt ZF mit der Fertigung ganzer E-Antriebe die Funktionalität eines Verbrennungsmotors und Getriebes in einem, was bedeutet, dass neue Komponenten, wie der E-Motor und der Wechselrichter, Teil des ZF-Portfolios werden.
Bei der Integration dieser drei elementaren Bestandteile eines E-Antriebes, E-Motor, Wechselrichter und Reduziergetriebe, spielt das Systemintegrations-Know-how eine wesentliche Rolle. Auch hier profitieren wir von unserer Erfahrung in komplexen mechatronischen Systemen, wie zum Beispiel einem Hybridgetriebe. Insofern waren, sind und bleiben wir ein Spezialist für innovative und effiziente Systemintegration im Antriebsstrang.
Elektromobilität und das Qualifikationsprofil der Mitarbeitenden
Wie verändert die Elektromobilität das Qualifikationsprofil der von ZF benötigten Mitarbeitenden?
Wie dargestellt, lassen sich grundsätzlich viele Rollen aus der Entwicklung und Fertigung von Automatikgetrieben und Hybridgetrieben auch in das Anforderungsprofil der Elektromobilität transferieren. Nehmen wir den Entwickler am Getriebeprüfstand oder den Experten für Noise Vibration Harshness als Beispiel.
Auf der anderen Seite muss man anerkennen, dass vor allem im Bereich Elektronik und Software für den Elektroantrieb neue Profile benötigt werden, die nicht in jedem Fall durch Umschulung abdeckbar sind. Wir stellen uns der Herausforderung der Re-Qualifikation unserer Mitarbeitenden sehr strukturiert.
So haben wir vor zwei Jahren unsere interne Online-Fortbildungsplattform, die E-Cademy (siehe Infokasten), gestartet. Dort sind Stand heute über 20000 Mitarbeitende als Lernende registriert und können dort von den Grundlagen eines E-Antriebs bis hin zur Anwendung von künstlicher Intelligenz in der Fertigung neue Fähigkeiten erlernen und Impulse für neue Rollen sammeln. Wir sind sehr stolz darauf, hierfür im Jahr 2022 den Innovationspreis der deutschen Personalwirtschaft gewonnen zu haben.
Was ist aus Ihrer Sicht unbedingt noch zum Thema Elektromobilität zu sagen?
Die Elektrifizierung der Mobilität ist ein wesentlicher Eckpfeiler der Dekarbonisierung unseres Planeten. Im Jahr 2020 fielen 24 Prozent aller globalen CO2-Emissionen auf den Transportsektor. Ohne die reduzierten Emissionen im Mobilitätssektor wird das Ziel des Pariser Klimagipfels, die Erderwärmung auf 1,5 °C bis 2030 zu limitieren, nicht erreichbar sein. Auf dem Weg dahin steht die Autoindustrie – und hier insbesondere die europäischen OEM und Tier1-Zulieferer – jedoch vor grossen Herausforderungen. Die Kombination aus Halbleiterkrise, Energiekrise, Inflationsdruck sowie weltweiten Eintritten neuer Wettbewerber bedeutet, dass nur jene Firmen in der anstehenden Transformation bestehen können, die mit innovativen Lösungen und nah an den regionalen Märkten neue und alte Kunden gleichermassen bedienen können.
E-Cademy: Beschäftigte auf die Entwicklung hin zur E-Mobilität vorbereiten
ZF bietet seinen Beschäftigten Weiterbildungen in zahlreichen Bereichen an. Der Schwerpunkt liegt auf der Elektromobilität. Dazu hat ZF im Sommer 2021 die E-Cademy gestartet, die als bisher grösste Qualifizierungsinitiative in der Unternehmensgeschichte gilt. Deren Ziel ist es, die Beschäftigten auf die Entwicklung hin zur E-Mobilität vorzubereiten und sie trotz sich verändernder Beschäftigungsprofile an Bord zu halten.
Die E-Cademy besteht aus drei Modulen: Sie soll eine allgemeine Lernkultur und Aufbruchsstimmung erzeugen, Basiswissen zur E-Mobilität vermitteln und konkrete Weiterqualifizierungen für Zukunftsprofile bieten, die von der ZF benötigt werden, wie etwa Software Development Engineer, Systems Development Engineer und Functional Safety Engineer. Prinzipiell können alle Beschäftigten, die das Grundlagenwissen für das jeweilige Lernangebot mitbringen, diese Weiterqualifizierung durchlaufen. Bereits zu Start der Qualifizierung wird die zukünftige Rolle bei ZF festgelegt, so dass Teilnehmer die klare Perspektive einer Weiterbeschäftigung bei ZF haben.
Die Lernkonzepte sind so angelegt, dass sie sowohl die Beschäftigten mit PC-Zugang als auch auf dem Shopfloor zielgruppengerecht adressieren. Im September 2022 wurde die E-Cademy mit dem Deutschen Personalwirtschaftspreis ausgezeichnet.
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Autor: Markus Back
Bildquelle: ZF
Redaktionelle Bearbeitung: Technik und Wissen
Informationen
ZF Friedrichshafen
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