Bestelltes bleibt aus – und nun?
Lieferengpässe: Kommunikation besser als Rechtsweg
Bestelltes bleibt aus – und nun?
Lieferengpässe: Kommunikation besser als Rechtsweg
Die Nerven liegen in vielen produzierenden Unternehmen blank. Dringend benötigte Komponenten tröpfeln, wenn überhaupt, nur in homöopathischen Dosen ein – und das trotz bestehender Verträge und Vereinbarungen! Was also tun? Im Gespräch mit Bianca Illner, Leiterin Wirtschaftsberatung im deutschen VDMA.
Von Markus Back, Chefredaktor Print
Viele Maschinen- und Anlagenbauer erleben im Moment, dass sie Bestelltes trotz bestehender Verträge nicht fristgerecht oder nur teilweise geliefert bekommen. Wie stellt sich die Situation bei Ihren Mitgliedsunternehmen dar?
Während sich die Auftragsbücher im Maschinen- und Anlagenbau in den vergangenen Monaten trotz Corona-Pandemie gut gefüllt haben, kämpfen viele Unternehmen mit zunehmenden Material- und Lieferengpässen. Laut VDMA-Blitzumfrage von Anfang September haben inzwischen 81 Prozent der Maschinenbaufirmen merkliche oder gravierende Beeinträchtigungen in ihren Lieferketten. Das ist jeweils deutlich mehr als selbst zu Spitzenzeiten der Pandemie Mitte April 2020.
Drastisch zugenommen haben insbesondere Knappheiten von elektrotechnischen und Elektronik-Komponenten. Aber auch die Lage bei Metallerzeugnissen wie Stahl oder Kunstoffen/Gummi ist nach wie vor angespannt. Die Maschinenbauer sind zudem wenig optimistisch, dass sich die Situation in den Lieferketten in den nächsten drei Monaten spürbar bessert: Während 52 Prozent eine gleichbleibend angespannte Situation erwartet, rechnen 40 Prozent sogar mit einer Verschärfung.
Materialmangel und dessen Auswirkung
Welches sind die häufigsten Probleme, die der Materialmangel nach sich zieht?
Neun von zehn Firmen können derzeit in Folge von Produktionsbehinderungen weniger umsetzen, als unter anderen Bedingungen möglich wäre. Das dämpft auch die Umsatzerwartungen für das laufende Jahr: Knapp die Hälfte der Maschinenbauer (44 Prozent) beziffern die Verringerung des Umsatzwachstums 2021 infolge von Materialengpässen auf 1 bis 5 Prozentpunkte, weitere 28 Prozent machen sogar einen Abschlag von 5 bis 10 Prozentpunkten. Darüber hinaus leiden knapp zwei Drittel der Befragten unter Beeinträchtigungen in der Logistik- und Transportabwicklung.
Laut VDMA-Umfrage planen mehr als 70 Prozent der Betriebe nun Änderungen in den Lieferketten vorzunehmen. Dies bedeutet vor allem, das Zulieferernetzwerk – auch geografisch – zu vergrössern, die Lagerhaltung zu erhöhen und alternative Lieferwege zu suchen.
Lieferengpässe: Grosser Fachbericht in Printausgabe #015
Lesen Sie in Ausgabe unseres Printmagazins #015 den umfangreichen Fachbericht zur Allokation und erfahren dort, welche Alternativen es gibt, wenn Bestelltes ausbleibt.
Die Ausgabe #015 erscheint am 03. November 2021. Zum Abonnement.
«Konkrete Problematik des Versorgungsengpasses wird durch Prozess nicht unmittelbar gelöst»
Inwieweit macht es Sinn, auf unterzeichnete Beträge zu pochen und Bestelltes gegebenenfalls auf dem Rechtsweg einzufordern?
Das wird zunächst von der konkreten Vertragsbeziehung abhängen. Jeder Vertrag ist dabei auf den Einzelfall hin zu prüfen und zu bewerten. Liegt nach dem Vertrag und dem zugrundeliegenden, nicht selten ausländischen Recht, ein fälliger, durchsetzbarer und einredefreier Anspruch vor, so bleibt immer noch zu bedenken, dass die prozessuale Anspruchsdurchsetzung sehr lange, bis hin zu mehreren Jahren dauern kann. Dies gilt insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Die konkrete Problematik des Versorgungsengpasses wird durch einen Prozess daher nicht unmittelbar gelöst. Naturgemäss stellt sich im Falle von Klagen oder auch nur ihrer Androhung zuletzt immer die Frage, inwieweit hierdurch eine sonst intakte Geschäftsbeziehung nachhaltig belastet, vielleicht sogar zerstört wird.
Um sich seine weiteren Rechte zu wahren, zum Beispiel auf Schadensersatz in etwaigen Regressprozessen, sollten Lieferanten aber im Zweifel unter Setzung einer Frist förmlich in Verzug gesetzt werden. Der fruchtlose Ablauf einer angemessenen Nachfrist kann zudem zumindest nach deutschem Recht die Möglichkeit eröffnen, sich vom Vertrag zu lösen und damit kurzfristig auf alternative Lieferanten auszuweichen.
Ein Online-Special zum Thema Lieferengpässe – mit Interviews, Anleitungen, Tipps
Alternative Beschaffungs- und Lieferquellens - selbst wenn umständlicher oder teurer
Je nach Fall drohen Konventionalstrafen, wenn bestellte Maschinen und Anlagen nicht fristgerecht geliefert werden beziehungsweise in Betrieb gehen. Was raten Sie Unternehmen, die entsprechende Vereinbarungen unterzeichnet haben?
Zu prüfen sind für den Unternehmer grundsätzlich alternative Beschaffungs- und Lieferquellen. Ist eine Maschine etwa in einem anderen Lager noch vorrätig oder anderweitig rechtzeitig zu beschaffen, ist in den meisten Fällen der Kunde hierüber zu bedienen – selbst wenn dies umständlicher oder teurer ist. Es gilt der Grundsatz: pacta sunt servanda – Verträge sind zu einzuhalten.
Gelingt die Beseitigung von Verzögerungen auf diese Weise nicht, so ist – wie immer – die individuelle vertragliche Situation massgeblich, insbesondere auch die konkret vereinbarte Pönale. Zunächst gilt, dass vertragliche Pönalen auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen sind, was häufig nicht der Fall ist. Es muss ferner sorgfältig geprüft werden, ob sich aus dem Vertrag weitere Gründe ergeben, die gegen die Geltendmachung der Klausel durch den Kunden eingewendet werden können. Im Verhältnis mit eigenen Zulieferern ist zu prüfen, ob die Vertragspönale innerhalb der Lieferkette nach hinten durchgereicht werden kann. Letzteres ist aber selten der Fall.
Es gilt der Grundsatz: pacta sunt servanda – Verträge sind zu einzuhalten.
Welchen generellen Rat geben Sie Unternehmen, die auf Bestelltes länger als vereinbart warten müssen?
Ein genereller Rat kann hier nicht gegeben werden. Es ist in vielen Fällen nicht einmal so, dass bestätigte (vereinbarte) Lieferungen für Teile ausbleiben, sondern neue Bestellungen mit exorbitanten Lieferterminen oder auch ganz ohne Termin bestätigt werden. Die Beschaffungszeiten sind dann einfach viel länger als erwartet. In diesem Fall fehlen Teile, der Lieferant ist aber gar nicht im Verzug.
Je nach Materialkategorie bleibt kurzfristig nur zu versuchen, andere Lieferquellen aufzutun, konstruktive Substitutionsmöglichkeiten zu suchen oder – falls möglich – bestimmte Features wegzulassen. In jedem Fall wächst der Kommunikationsbedarf sowohl zum Lieferanten, als auch zum Kunden.
Impressum
Autor: Markus Back
Bildquellen: Pixabay, VDMA
Redaktionelle Bearbeitung: Technik und Wissen
Eine Publikation von Technik und Wissen
Informationen
VDMA
vdma.de
Weitere Artikel
Veröffentlicht am: