Die Ressence ist eine revolutionäre mechanische und gleichzeitig elektronische Uhr. Im Uhrwerk ist eine winzige Antriebseinheit von Faulhaber für eine neuartige Aufgabe zuständig.
Wie würde eine mechanische Uhr aussehen, die von Grund auf neu gedacht und entwickelt wurde? Diese Frage stellte sich der Belgier Benoît Mintiens vor rund zwölf Jahren. Der Produktdesigner arbeitete damals als Berater und war in unterschiedlichste Designprozesse involviert: «Als Generalist habe ich mich mit vielen Dingen beschäftigt. Das Spektrum reichte vom Jagdgewehr bis zur Kabinenausstattung für Flugzeuge. Aber ich wollte endlich wieder selbst etwas entwickeln und ein ganzes Produkt von Grund auf neu gestalten.»
Eine Uhr vollkommen neu gedacht
Entstanden ist eine einzigartige Vorrichtung in der Welt der mechanischen Zeitmesser: Die Armbanduhr «schläft», wenn sie abgelegt wird und wacht auf, wenn man sie wieder anlegt. Die korrekte Zeit wird automatisch eingestellt. Dabei bewegen sich aber nicht die Zeiger, sondern das sehr ungewöhnliche Ziffernblatt der Type 2 von Ressence.
Bis zu dieser Erfindung hatte der Belgier nichts mit Uhren zu tun. Er hat sich aus strategischen Gründen auf diese Branche verlegt. Eine Armbanduhr ist – im Gegensatz etwa zu einem Auto – ein überschaubares Produkt. Für Entwurf und Entwicklung wird kein grosses Team benötigt. Zugleich spielen Aspekte wie Design und innovative Technologie für die Abnehmer hochklassiger Chronometer eine wichtige Rolle. Genau diese Klientel wollte Mintiens mit seiner Neuentwicklung ansprechen.
Prototyp statt Oldtimer
Eigentlich hatte er auf einen Oldtimer gespart. Aber statt diesen zu kaufen, investierte der Belgier 30‘000 Euro in das Uhren-Projekt. Allein 10‘000 davon gab er für einen Ministand auf der weltweit wichtigsten Uhrenmesse in Basel aus. Dort präsentierte er 2010 die ersten drei Prototypen seiner Uhr, für die er sämtliche Teile am Computer neu entworfen hatte. Mintiens erinnert sich: «Die grösste Schwierigkeit am Anfang bestand darin, die Teile mit der nötigen Präzision, aber zu einem bezahlbaren Preis produzieren zu lassen. Das ist bei der minimalen Stückzahl keine banale Aufgabe.» Deshalb behalf er sich mit zweckentfremdeten Vorprodukten: Für die Achsen wurden Stücke von Nähnadeln verwendet. Die sind hochpräzise gefertigt und haben eine sehr glatte Oberfläche; als Hülsen dienten Kanülen von Einwegspritzen, die zufällig exakt mit den Nadeln zusammenpassten.
Innovatives Konzept der Ressence kommt gut an
Obwohl die Prototypen unter solchen Voraussetzungen nicht perfekt sein konnten, stiess sein neuartiges Uhrenkonzept in Basel auf grosses Interesse. Mit den Vorbestellungen, die er von dort mit nach Hause nahm, konnte er die Serienproduktion starten und nun auch die hoch spezialisierten Teilelieferanten der Schweizer Uhrenindustrie bezahlen.
Grundlage seines Erfolgs ist eine ganze Reihe von einzigartigen Eigenschaften, die ausschliesslich bei Uhren von Ressence zu finden sind. Eine wird auf den ersten Blick sichtbar: Nicht die Zeiger bewegen sich auf dem Ziffernblatt, sondern das Ziffernblatt selbst. Genau gesagt sind es mehrere Ziffernblätter – für jeden Zeiger ein eigenes. Die kleineren sind im grossen beweglich integriert, kreisen wie ein Planetengetriebe umeinander und sind in ständig neuen Konstellationen zu sehen. Trotz des ungewöhnlichen Bildes erkennt man intuitiv den grossen und den kleinen «Zeiger» als Marker für Minute und Stunde.
Im Gegensatz zu anderen mechanischen Uhren fehlt der mechatronischen Alternative die Krone, die gewöhnlich zum Aufziehen und zum Einstellen der Zeit dient. Ihre Funktion übernimmt ein klappbarer Bügel auf der Unterseite der Uhr. Mit der mechanischen Bewegung des Einstellens wird auch das initiale Aufziehen erledigt. Ein Automatik-Uhrwerk sorgt von da an für Federspannung und Gang.
Trotz Elektronik bleibt Mechanik autark
Ein weiterer Unterschied der Uhr: Die Ressence Type 2 erkennt mithilfe eines Beschleunigungssensors, ob sie gerade getragen wird. Liegt sie über längerer Zeit, wird das Uhrwerk angehalten, um Federenergie zu sparen. Eine integrierte Elektronik (e-Crown genannt) speichert beim ersten Einstellen die Zeit und misst sie während der Ruhephasen weiter. Wird die Uhr wieder angelegt, erkennt das der Sensor und die Elektronik entsperrt die Feder. Mit einem doppelten Antippen des Zifferblattes startet man das Uhrwerk und die richtige Uhrzeit wird automatisch eingestellt – selbst wenn die Uhr monatelang nicht getragen wurde.
«Mit der e-Crown erweitern wir das Konzept der mechanischen Uhr um eine neue Dimension», findet Mintiens. «Die korrekte Zeit steht immer zur Verfügung, und man kann eine zweite Zeitzone wählen, auf die sich die Uhr dann ebenfalls automatisch einstellt. Für die Auswahl der Zone kommuniziert die Elektronik per Bluetooth mit einer eigens dafür entwickelten App. Trotzdem bleibt die Uhr dank ihres Automatikwerkes eine autarke Einheit, in ihre eigentliche Funktion mischt sich die Elektronik nicht ein. Sie übernimmt lediglich die Einstellungsschritte, die sonst mit der Krone durchgeführt werden.»
Klein und stark bei geringem Energieverbrauch
Die e-Crown besteht aus 87 Komponenten, ihre flexible Leiterplatte mit vier Schichten ist nur einen Viertelmillimeter dick. Alle Teile sind auf kleinste Abmessungen und minimalen Energieverbrauch hin optimiert, sodass sie mit ganzen 1,8 Joule am Tag auskommen. Mindestens einmal täglich überprüft die Elektronik die Stellung der Ziffernblätter und löst bei Bedarf eine Korrektur aus. Wie beim Wiederanlegen der Uhr oder beim Wechsel zwischen den Zeitzonen löst sie den automatischen Einstellprozess aus.
Dabei werden das grosse und die kleinen Ziffernblätter in die jeweils passende Position gedreht. Die Kraft für die mechanische Arbeit der e-Crown kommt vom kleinsten Faulhaber-Serienmotor, dem bürstenlosen DC-Servomotor Serie 0308…B, in Kombination mit dem Mikroplanetengetriebe 03A. Mit einem Durchmesser von nur drei Millimeter passt die Antriebseinheit in den äusserst engen Bauraum der Armbanduhr. Die Mikroplanetengetriebe überzeugen unter anderem mit hoher Genauigkeit, die gerade in hochpräzisen Anwendungen immer wieder gefordert ist.
Einwandfreie Funktion über Jahrzehnte
Zur Zusammenarbeit zwischen Ressence und den Experten für bürstenlose DC-Mikromotoren kam es durch die Empfehlung eines anderen Lieferanten, erinnert sich Mintiens. Es hätte weitere Antriebe gegeben, die für seine Uhr klein genug gewesen wären. Doch die Auswahl war nach näherem Hinsehen nicht schwer und fiel eindeutig aus: «Von einer mechanischen Uhr erwartet man, dass sie über Jahrzehnte einwandfrei funktioniert. Das gilt bei der Type 2 natürlich auch für die e-Crown. Die Technologie von Faulhaber gewährleistet die hohe Qualität und Zuverlässigkeit des Antriebs, die ich brauche.»
Neben dem Platz ist in der Uhr aber auch der verfügbare elektrische Strom knapp. Er fliesst aus sechs Mikro-Lithiumionen-Akkus, die von ebenfalls sehr kleinen Solarzellen aufgeladen werden. Die Akkus liefern lediglich 1,2 Volt Spannung. «Das ist eigentlich zu wenig, um beim Start die intrinsische Trägheit und Reibung des Systems zu überwinden», erklärt Vertriebsingenieur Hein Vos von Faulhaber Benelux. «Wir haben daher mehrere Veränderungen am Getriebe vorgenommen. Dazu gehören eine modifizierte Welle, ein angepasstes Übersetzungsverhältnis und eine spezielle Schmierung. Bei solch anspruchsvollen mechatronischen Projekten suchen wir den frühzeitigen Austausch mit Produktentwicklern; so können individuell angepasste Antriebslösungen entstehen.» Dass die Antriebsexperten dabei auf ein umfangreiches Produktportfolio und jahrelange Erfahrung in der Produktentwicklung zurückgreifen können, hilft dabei, schnell hochwertige, zuverlässige und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.
Resscence: Wie funktioniert diese Uhr? (Quelle: Youtube-Kanal Watch Collecting Strategy)
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Impressum
Textquelle: Faulhaber / Redaktion Stutensee
Bildquelle: Ressence und Faulhaber
Redaktionelle Bearbeitung: Technik und Wissen
Eine Publikation von Technik und Wissen
Informationen
Faulhaber
www.faulhaber.ch
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