Lasermaschinen mit Grips lernen dazu
Auch ein KMU kann sich Laser leisten. Doch bei häufig wechselnden Anwendungen fehlt dann oft die Kapazität und das Know-how für optimales Feintuning. Auf Lasermaschinen mit Grips setzt das BMBF-Verbundprojekt DIPOOL. Hier entwickeln vier Industrieunternehmen und zwei Forschungsinstitute gemeinsam zwei Demonstratoren für das Laserschneiden und das Laserschweissen.
Welche Rolle dabei KI und minimalinvasive Modulationstechnik spielen, erfuhr Technikreporter Nikolaus Fecht von Dr. Dirk Petring vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT aus Aachen.
Ein Experte aus der Laser-Community sagte einmal spöttisch: «Wenn Sie sich weder Physiker noch Physikerinnen mit Doktortitel leisten können, können Sie nie einen Laser effizient nutzen.» Sie sprechen auf der Website Ihres Instituts von Lasermaschinen mit Grips. Inwiefern können sie die Expertise von Fachleuten ersetzen, Herr Dr. Petring?
Dr. Dirk Petring, Gruppenleiter Makrofügen und Schneiden am Fraunhofer ILT und wissenschaftlicher Koordinator des Verbundprojekts DIPOOL: «Zunächst: Ihr Zitat eines Experten ist sicher über 20 Jahre alt und schon lange nicht mehr gültig. Inzwischen sind wir auf dem Weg von der automatisierten zur autonomen Lasermaschine. Ganz im Fokus steht der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), denn sie kann die Autonomie und Funktionalität von Maschinen in einem bisher unerreichten Mass erhöhen. Von Experten «gut ausgebildete» KI erkennt Systemabweichungen, Fehler und Qualitätsmängel schneller und zuverlässiger als klassische Überwachungs- und Regelungssysteme. KI kann Sensorsignale auf umfangreichere und sogar bisher von Experten unerkannte Mustereigenschaften hin analysieren.»
Vorteile der Integration maschinellen Lernens demonstrieren
Im Verbundprojekt entsteht ein digitaler Prozess-Onlineoptimierer für intelligente Lasermaschinen, kurz DIPOOL. Was steuert das Fraunhofer ILT bei, wer unterstützt es?
«Wir kombinieren die einzigartige zeitliche und räumliche Programmier- und Kontrollierbarkeit von Laserwerkzeugen mit maschinellem Lernen, kurz ML. Konkret geht es um die automatische und robuste Überwachung, Qualitätssicherung und Optimierung von Lasermaschinen bei wechselnden Fertigungsaufgaben. DIPOOL soll erstmalig für die beiden weltweit umsatzstärksten Laserfertigungsverfahren Schneiden und Schweissen die Vorteile der Integration maschinellen Lernens demonstrieren. Von den Ergebnissen profitieren ausser den Laserherstellern alle Branchen, die Bleche verarbeiten. Kräftig unterstützt werden wir vom Karlsruher Institut für Industrielle Informationstechnik IIIT, von denen die Grundlagen einer effizienten Signalanalyse für das maschinelle Lernen stammen. Das Implementieren der trainierten ML-Algorithmen in das sogenannte Inferenzsystem der Lasersteuerung übernehmen schliesslich die Fachleute von Marx Automation.»
Machine Learning steht und fällt mit den Daten: Mit welcher Technik werden sie erfasst?
Petring: «Unter anderem mit einer vollkommen neuartigen, multispektralen Sensorik von 4D Photonics. Wir erhoffen uns, mit ihr den mit ML verwertbaren Informationsgehalt der Prozesssignale insbesondere beim Laserstrahlschweissen zu steigern. Die smarte Systemtechnik und Sensorik für Laserschneidanlagen stammt von Precitec. Die neueste Generation Laserschneidkopf wird mit für die KI-Software und den DIPOOL-Ansatz dezidiert entwickelter Sensorik und Datenschnittstelle ausgestattet.»
Signalmuster erkennen
Wer erprobt die Technik in Demonstratoren?
Petring: «Das Unternehmen Automatic-Systeme Dreher nutzt sie in seinem Demonstrator zum Laserstrahl-Hochgeschwindigkeitsschneiden von Formplatinen aus dem laufenden Blechband. In dieser Versuchsanlage soll mit unseren neuen, intelligenten ML-gestützten Algorithmen der Schneidprozess überwacht, bei Abweichungen automatisiert angepasst und so mit geschlossenen Regelschleifen die geforderte Schnittqualität und Produktivität sichergestellt werden. Laserdienstleister LBBZ demonstriert mit der gleichen digitalen Optimierungstechnik in einer Laserroboterzelle, wie sich 3D-Schweissen verbessern lässt.»
Wie verbessern Sie die Prozesse mit KI?
Petring: «Es geht darum, Sensorsignale aus dem Prozess zu interpretieren und daraus Rückschlüsse zu ziehen auf den Prozesszustand. Welchen Prozesszustand haben wir gerade und muss ich etwas am System ändern? Ist die Naht nur eingeschweisst oder vollständig durchgeschweisst? Arbeitet der Hochgeschwindigkeitsschneidprozess im optimalen Geschwindigkeitsbereich? Die Systemsteuerung muss also wie eine Regelung eine Entscheidung fällen. Das Ziel besteht darin, Signalmuster zu erkennen. Wir nutzen dazu jedoch nicht die Rohdaten, sondern verdichten sie vor der Weiterverarbeitung durch die KI mit Algorithmen, die wir auf Basis unseres Domänenwissens über den Prozess bereits entwickelt haben.»
KI mit intelligent aufbereiteten Daten versorgen
Wie gehen Sie vor?
Petring: «Das Verfahren nennt sich Feature Engineering: Wir füttern die KI nicht mit allen Prozessdaten, sondern mit intelligent aufbereiteten Daten. Der Trick besteht darin, den besten Kompromiss zwischen Datenmenge und Datenqualität zu finden, denn man kann beim maschinellen Lernen ein System auch übertrainieren. Wenn die Trainierenden es mit zu vielen Daten übertreiben, dann lernt die KI nur noch auswendig. Sobald jedoch Daten von Auswendiggelerntem abweichen, ist sie überfordert und kann keine vernünftige Entscheidung mehr fällen.»
Wie sorgen Sie für Datenqualität?
Petring: «Wir lassen die Laserleistung nicht konstant auf den Prozess los, sondern modulieren sie minimal. Wir verändern die Leistung periodisch ganz leicht und schauen, wie der Prozess darauf antwortet. Dazu würde man im Idealfall von linearem Antwortverhalten ausgehen und darauf Regelkreise aufbauen. Das funktioniert leider bei der Lasermaterialbearbeitung nicht, weil wir es hier mit stark nichtlinearen Prozessen zu tun haben. Die Prozesse reagieren vergleichsweise „sensibel“, dafür aber auch schnell auf Parameteränderungen. Entsprechend schnell ändert sich auch die Prozesssignalantwort je nach Prozesszustand mit einem charakteristischen Signalmuster. Das nutzen wir und zukünftig die KI zum Beispiel aus, um in Echtzeit zu erfahren, ob die Steuerung die Schneidgeschwindigkeit noch weiter erhöhen kann oder sie vielleicht sogar etwas reduzieren sollte, um eine optimale Schnittqualität zu erzielen. Ohne diese Modulationstechnik entstehen lediglich die Signale eines sogenannten unbefragten Prozesses, die schnell falsch oder gar nicht interpretiert werden können. Daran ist die Integration von Prozessüberwachung in industrielle Lasermaschinen in den letzten 30 Jahren sehr häufig gescheitert.»
Testen des Antwortverhaltens mit minimalinvasiver Lasermodulation
Das Ziel ist also eine höhere Interpretationssicherheit?
Petring: «Genau. Wir setzen im Moment daher in erster Linie im DIPOOL-Projekt auf überwachtes Lernen: Wir testen das Antwortverhalten mit minimalinvasiver Lasermodulation (MILM). Mit ihr erhalten wir charakteristische und damit einfacher interpretierbare Signale. Beim überwachten Lernen trainieren wir so das ML-System, meist ein künstliches neuronales Netz, um aus den Signalmustern die richtigen Schlüsse zu ziehen und um im Bedarfsfall geeignete Massnahmen einzuleiten: Sie können von Hinweisen an den Anlagenbediener bis zur automatischen Anpassung von Prozessparametern reichen. Das trainierte «Modell» wird dann als sogenannte Inferenzmaschine in die Anlagensteuerung integriert.»
Welche Sensoren setzen Sie ein?
Petring: «Zum Beispiel multispektrale Sensorik mit unterschiedlichen Wellenlängen, die von 4D-Photonics entwickelt wird. Aus den unterschiedlichen Signalhöhen bei den verschiedenen Wellenlängen lassen sich zusätzliche Informationen ableiten. Das breite Farbspektrum ist mit einem sich dynamisch ändernden Regenbogen vergleichbar, für dessen Auswertung KI prädestiniert ist. Für das Laserstrahlschneiden hat sich Precitec bei der Sensorentwicklung speziell mit den Randbedingungen in einer 2D-Flachbettschneidanlage auseinandergesetzt. Neben der hochdynamischen Erfassung der Prozessantworten steht Kompaktheit und vor allem Robustheit der Lösung an vorderster Stelle.»
Prozessverständnis für KI-Systeme wächst
Sehen Sie Chancen, auch kleine und mittlere Unternehmen von diesen Lösungen zu überzeugen?
Petring: «Ein derartiges System lässt sich heute auch für KMU realisieren, weil die Preise für Laser- und Rechenleistung deutlich gefallen sind. Praktisch alle fertigenden Unternehmen stehen heute unter stetigem Innovationsdruck – nicht zuletzt durch Wettbewerber aus China. Das erhöht die Bereitschaft, in innovative Technik zu investieren. Ausserdem wächst das Prozessverständnis für KI-Systeme auch beim Mittelstand.»
Bitte eine Einschätzung. Wie viel effizienter können Unternehmen dank KI-Regelung mit dem Laser schneiden oder schweissen?
Petring: «Eine einfach gestellte Frage, die sich natürlich nicht allgemeingültig beantworten lässt. Ich gehe bei moderater Schätzung davon aus, dass sich die Gesamtanlageneffektivität, die sogenannte Overall Equipment Effectivity OEE, um 25 Prozent erhöhen lässt.»
Das DIPOOL-Projekt läuft noch bis Sommer 2024: Ist schon ein Endanwender in Sicht?
Petring: «Ja, die BILSTEIN GROUP hat in Hagen sogar dafür extra eine eigene Tochter BILCUT gegründet, die ab dem Jahr 2025 mit Highspeed Formplatinen für die Automobilindustrie schneiden soll. DIPOOL-Projektteilnehmer Dreher wird dazu eine Laserschneidanlage bauen, die auf der von uns entwickelten Technologie basiert. Damit kann die BILCUT GmbH individuelles Platinendesign mit ausgezeichneter ökonomischer und ökologischer Performance liefern.»
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Autor: Nikolaus Fecht
Bildquelle: Fraunhofer ILT und Dreher
Redaktionelle Bearbeitung: Technik und Wissen
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