Einstecken, fertig, los!
«Plug and Produce» - Trendbericht 2021
Einstecken, fertig, los!
«Plug and Produce» - Trendbericht 2021
Ein paar Herausforderungen liegen noch vor uns auf dem Weg zum flächendeckenden Einsatz von Plug-and-Produce-Produkten. Dieser Trendbericht zeigt einige davon auf, aber auch Lösungen und Lösungsansätze.
Technik könnte so einfach sein! Eine Firma kauft eine Maschine, schliesst sie in der Fabrikhalle an, wartet einen Moment, bis die Software sich eingeloggt hat ins übergeordnete System, ein Bestätigungsklick und bereits beginnt der Datenaustausch, die Parameter werden automatisch eingestellt und dann meldet die Maschine, dass sie betriebsbereit ist – und natürlich hat das System selbst die besten aller Prozesse und Skills ausgewählt und eingestellt.
Die sofortige Implementierung von Maschinen und Anlagen in bestehende Organisationsstrukturen sieht allerdings noch etwas anders aus. Aber ein Heer an Entwicklern und Forschern hat sich auf den Weg gemacht, um die Welt der Technik ins «Plug-and-Play»-Zeitalter zu führen oder wie es im industriellen Bereich heisst: ins Plug-and-Produce-Zeitalter.
Frühe Plug-and-Produce-Vision: Anlagen mieten und zusammenstellen
Diesen Traum vom «Einstecken und Produzieren» hatte zum Beispiel die Schweizer Firma Feintool, die noch von der Idee ausging, dass in Zukunft Firmen ganze Anlagen mieten werden. Das hätte für einen Maschinenhersteller zweierlei bedingt: Erstens, dass Kunden nach eigenen Bedürfnissen unterschiedliche Stationen auswählen und zusammenstellen können und zweitens, dass das Zusammenstellen schnell und einfach gelingt –, was wiederum einen Plug-and-Produce-Ansatz bedingt.
Feintool begannen im Jahr 2002 ein modulares System namens Modutec zu entwickeln, das dann sogar auf der Motek 2004 ausgestellt wurde und als «flexibles, modulares, aus standardisierten Bauteilen bestehendes Montagesystem mit hohem Wiederverwendungsgrad» angepriesen wurde. Die Idee kam gut an, doch die Rechner verfügten damals noch nicht über eine derart hohe Leistung, dass man den Plug-and-Produce-Ansatz als ausgereift hätte propagieren können.
Spätere Forschungsprojekte wie das EU-Projekt PRIME, bei dem die ZHAW involviert war, nahmen den Feintool-Ansatz allerdings auf und viele weitere ähnliche Forschungsprojekte folgten. Doch noch immer haben Entwicklungs- und Forschungsabteilungen viel Arbeit vor sich, um die Plug-and-Produce-Technologie zu verbessern.
Der Shop, der «Plug and Automate» verspricht
Wenn es allerdings einen Industriezweig gibt, der die Plug-and-Produce-Technologien rasant vorantreibt, dann die Automationsbranche. Zwar hat sich die Vision, dass Anlagen gemietet werden, nicht durchgesetzt; doch der Druck, flexibler produzieren zu können, verlangt von der Automation ausserordentliche Leistungen: Roboter einstecken und produzieren. Roboter ausstecken, umstellen, einstecken und weiterproduzieren – so sollte es sein. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in diesem Bereich besonders viele Beispiele gefunden werden können, die das Plug-and-Produce-Prinzip verinnerlicht haben. Und es gibt sogar einen Shop, der sich das auf die Fahne geschrieben hat: «Plug and automate».
Ein Webshop voller Plug-and-Automate-Produkte
Hinter dem Onlineshop steckt die Firma Bachmann Engineering AG und deren CEO heisst Marc Straub (siehe Kasten mit Interview «Die Fortschritte sind beachtlich»). Er versichert, dass der Name nicht eine Spielerei, sondern Programm ist. «Die Idee ist, den Kundinnen und Kunden Produkte anzubieten, die einfach und ohne grosses Fachwissen mit den kollaborativen Robotern von Universal Robots verwendet werden können», sagt er und ergänzt: «Über 90 Prozent aller Produkte im Shop entsprechen dem Plug-and-Produce-Ansatz. Dass dies möglich ist, hat mit den grossen Fortschritten zu tun, die in den letzten Jahren in der kollaborativen Robotik gemacht worden sind.»
«Die Fortschritte sind beachtlich»
«plug + automate» heisst der Shop der Firma Bachmann Engineering AG. Der Name ist Programm. Wie sieht CEO Marc Strub die Plug-and-Produce-Welt?
Autor: Eugen Albisser
Wie wichtig ist in der Automation der Plug-and-Produce-Ansatz für die Kunden geworden?
Dieser Ansatz ist sehr wichtig. Viele Kundinnen und Kunden wollen die Chancen der Automatisierung nutzen, indem sie organisationsintern Know-how aufbauen. So können sie in eigener Regie damit beginnen, Prozesse zu automatisieren und ihre Organisation effizienter zu machen. Bei komplexeren Projekten unterstützen wir sie gerne dabei.
Wie gut funktionieren die Plug-and-Produce-Produkte?
Das ist sehr unterschiedlich und hängt auch von der Komplexität der Automatisierungsprojekte ab. Grundsätzlich gilt: Je komplexer der zu automatisierende Prozess ist, desto weniger kann ein Plug-and-Produce-Ansatz realisiert werden. Viele Produkte können aber wirklich nach dem Einstecken und Installieren der Software einfach und schnell genutzt werden. Dank diesen Produkten steht Machertypen ein fast unbegrenztes Automatisierungsspielfeld zur Verfügung, auf dem sie sich austoben können.
Wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?
Verbesserungsbedarf gibt es teilweise bei der elektrischen/signaltechnischen Einbindung, die bei gewissen Produkten etwas umständlich ist. Dann gibt es sicherlich noch Verbesserungs-bedarf bei der Programmierung – beim Teaching – im Falle von komplexen Prozessen. Auch hier gilt aber: Die Fortschritte, die in den letzten Jahren erreicht wurden, sind beachtlich.
Gibt es ein Plug-and-Produce-Produkt, das Sie begeistert?
Mich fasziniert das Mimic-Kit von Nordbo Robotics, das die Programmierung von kollaborativen Robotern entscheidend vereinfacht. Die Idee des Mimic-Kits ist denkbar einfach. Erstens: Anwender führen die Bewegungsabläufe, die der Roboter nachmachen soll, mit einem handlichen Joystick aus. Zweitens: Die Bewegungsabläufe werden aufgezeichnet und an den Roboter übermittelt. Und drittens: Der Roboter ist nun programmiert, das heisst, er ist in der Lage, die gezeigten Bewegungsabläufe zu replizieren. Dabei sind Echtzeitanwendungen und eine gleichzeitige Programmierung von mehreren Robotern möglich.
Zeit ist reif für das Plug-and-Produce-Zeitalter
Ist die Zeit also reif für das Plug-and-Produce-Zeitalter? «Absolut», sagt Rudolf Meyer, CEO des Emmentaler Unternehmens Liquidtool Systems und die Gründe dafür sind für ihn klar: «Die Menschen gewöhnen sich immer mehr an solche Produkte. Vor allem aus dem privaten Bereich kennen sie es, aber PnP-Lösungen halten auch immer mehr Einzug im geschäftlichen Umfeld. Man will schnell etwas testen und nutzen und nicht auf eine lange Einführung warten müssen. Produkte sollen einfach verständlich und ‹flüssig› in der Anwendung sein.»
Auch Alfred Zeuner, stellvertretender Geschäftsführer sowie Leiter Vertrieb Industrieanwendungen bei der Bosch Rexroth Schweiz AG findet, dass die Zeit reif ist. «Der Trend geht in allen Branchen eindeutig in Richtung kleinerer Losgrössen und das erfordert eine höhere Flexibilität in der Produktion», sagt Zeuner. Maschinen müssten teilweise mehrmals am Tag umgerüstet, Fertigungslinien in kürzester Zeit um neue Aktoren erweitert werden, erklärt er und dies sei nur mit Automatisierungslösungen erreichbar, die schnell und einfach in Betrieb genommen werden könnten, «also mit Plug-and-Produce», so Zeuner.
Was muss Plug-and-Produce können?
Doch wie definiert man eigentlich «Plug-and-Produce»? Wie wenig Arbeit darf da noch auf einen Mitarbeiter zukommen, falls man diesen Begriff für ein Produkt verwendet? Rudolf Meyer: «Die Nutzer und Nutzerinnen sollen die Anwendung oder das Produkt selbst installieren oder in Betrieb nehmen können. Ein Wizard kann dabei unterstützen. Es soll aber kein Support von aussen nötig sein bei der Erstinstallation. Ebenso intuitiv und einfach soll die anschliessende Bedienung der Anwendung oder des Produkts sein.»
Neben der Inbetriebnahme und Nutzung sollen PNP-Lösungen wartungsfrei sein oder Störungen vom Kunden selber eliminiert werden können, fügt Meyer hinzu. Und Alfred Zeuner meint: «Die Produkte identifizieren sich selbst, fügen sich nach Freigabe des Inbetriebnehmers automatisch in das Netzwerk ein und müssen nur an die Anwendung angepasst werden. Zunehmend läuft die Inbetriebnahme sogar nicht mehr über die Maschinensteuerung oder einen Laptop, sondern über Smartphone- oder Tablet-Apps.»
Nicht einfach: taktil agierende Roboter
Doch wie immer bei neuartigen und sich im Aufbau befindlichen Technologien sind noch einige Hürden zu meistern, auch wenn einige Bereiche schneller vom Plug-and-Produce-Ansatz profitieren können. Wir haben bei der Fruitcore Robotics GmbH nachgefragt, welche Bereiche bei ihnen einfacher umzusetzen sind. «Auf dem Gebiet der roboterbasierten Automatisierung hängt das von der Anwendung ab», sagt CFO Patrick Zimmermann und präzisiert: «Insbesondere gleichbleibende Prozesse wie Pick-and-Place, Montage- und Prüfprozesse sind sehr einfach umzusetzen. Schwieriger wird es, wenn Roboter taktil agieren müssen oder sich Prozessparameter laufend ändern.» Der Grund liegt auf der Hand: Hierfür sind oftmals aufwendige Installationen notwendig, um einen stabilen Prozess zu gewährleisten. «Die Roboter, die dafür verwendet werden können, sind die gleichen, allerdings dann nicht mehr per Plug-and-Produce, sondern mit der Unterstützung von internen Experten oder Systempartnern.»
Herausforderung, wenn der Stoff «lebendig» ist
Liquidtool Systems bietet ein intelligentes System zur Kühlschmierstoffüberwachung an, welches sie bewerben mit dem Slogan «Plug & Play: Schnelle Installation, keine Schulung und keine speziellen Fähigkeiten benötigt». Auch hier gab und gibt es Herausforderungen zu bewältigen auf dem Weg zum perfekten PnP-Produkt. «Die grösste Herausforderung bei uns ist das Zusammenspiel von digitalen Systemen und Sensortechniken mit einem lebendigen Stoff», erklärt Rudolf Meyer. Der Kühlschmierstoff sei in einem offenen Kreislauf und verändere sich je nach den Umständen ziemlich schnell. Hier brauche es fundiertes Wissen über die Chemie. «Die Kombination davon mit digitalen Systemen, Sensor- und Aktuator-Technik unter Berücksichtigung von Sicherheitskonzepten – wir wollen ja auf keinen Fall einen Shopfloor mit Kühlschmierstoff ‹fluten› – das ist nicht trivial», sagt er.
Die technische Entwicklung in den letzten Jahren
Immerhin geht die unterstützenden technologischen Entwicklungen rasant voran und es hat in den letzten Jahren einige Sprünge gegeben. «Entwicklungen in der Steuerungs- und Regelungstechnik haben dazu beigetragen, dass Systeme heute viel einfacher kommunizieren können. Das erleichtert die Entwicklung von Plug-and-Produce-Produkten ungemein. Diverse Entwicklungen im Smartphone- und Tablet-Bereich wie Touchpanels und intuitive Bedienoberflächen sind ebenso wichtige Errungenschaften für die einfache und flexible Produktion», sagt Patrick Zimmermann. Ein Beispiel: Bei Fruitcore Robotics ermöglicht die Software horstFX dem Anwender, den Industrieroboter HORST schnell zu programmieren – auch ohne Fachkenntnisse. Die Software ist intuitiv aufgebaut, speziell für Touchscreens entwickelt.
Und Alfred Zeuner von Bosch Rexroth ergänzt: «Entscheidend sind offene Standards für die Programmierung und die Kommunikation. Nur mit herstellerübergreifend eingesetzten Protokollen können sich Komponenten und Lösungen ohne Zusatzaufwand in vorhandene Maschinen und Architekturen einfügen. Bosch Rexroth setzt seit jeher auf offene Standards und treibt diese Entwicklung beispielsweise durch die intensive Mitarbeit bei der Definition von OPC UA in Verbindung mit TSN aktiv voran.»
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Alles Plug-and-Produce?
Obwohl die Entwicklung rasant vorangeht und Firmen die Hürden für einzelnen Produkten und Komponenten mit viel Fleiss und Kreativität meistern, so ist der Weg noch weit ins Zeitalter des flächendeckenden PnP-Einsatzes. Wo sind heute noch die grossen Hürden, um viele oder sogar alle Produkt Plug-and-Produce-tauglich zu entwickeln? «Eine grosse Herausforderung ist die Vernetzung von bereits installierten älteren Maschinen, um sie als Plug-and-Produce-Module in moderne Fertigungssysteme einzubinden», meint Alfred Zeuner. «Hier bietet das IoT-Gateway eine sehr einfache Lösung. Techniker vernetzen damit Maschinen ohne SPS-Programmierung. Die Inbetriebnahme eines IoT-Gateways mit Sensoren erfordert keinerlei Eingriffe in die Maschinensteuerung. So senden auch ältere Maschinen ihre Betriebsdaten und Zustände an ein übergeordnetes Netzwerk und eröffnen damit erhebliche Potenziale für die Qualitätssicherung, Nachverfolgbarkeit und die Steigerung der Verfügbarkeit über Condition Monitoring.»
Rudolf Meyer findet, dass die technische Komplexität neuer Lösungen im Gegensatz zu Plug-and-Play Ansätzen stehe. «Je komplexer und individueller ein System, desto schwieriger ist es, den Setup-Prozess einfach zu gestalten. Schafft man es aber, die Installation und den Betrieb komplexer Systeme aus Benutzersicht so weit zu vereinfachen, ist der Nutzen umso höher.»
DIN SPEC 92000 als Enabler für Plug-and-Produce-Konzepte
Ein wichtiger Schritt des Konzepts Plug-and-Produce sind die Abgleiche zwischen Anforderungen und Zusicherungen der Geräteeigenschaften. Aus diesem Grund wird im Beitrag mit dem Titel «DIN SPEC 92000 als Enabler für Plug-and-Produce-Konzepte» aufgezeigt, wie die in der DIN SPEC 92000 eingeführten Eigenschaftswertaussagen hierfür verwendet werden können. Die Nutzung dieser Aussagen wird anhand von zwei Use Cases – für die Inbetriebnahme und den Gerätewechsel – und einer zugehörigen technischen Realisierung demonstriert. (Textauszug: RWTH Aachen)
> Link für Bezug des erwähnten Peer-Reviewed-Artikel. Die Kosten: 4,90 Euro.
Impressum
Autor: Eugen Albisser
Publiziert von Technik und Wissen
Informationen
Bachmann Engineering
www.plugandautomate.swiss
Bosch Rexroth
www.boschrexroth.ch
Fruitcore Robotics
https://fruitcore-robotics.com
Liquidtool
https://liquidtool.com
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