Das digitale Typenschild soll Anwendern neue Serviceleistungen bei gleichzeitiger Reduktion der Papierberge bringen. Im Gespräch mit Markus Kiele-Dunsche, Innovationsmanager Engineering und Automation bei Lenze SE, und Emanuel Lang, Teamleiter Antriebstechnik, bei der Siemens Schweiz AG.
Autor: Markus Back
Warum ist Ihr Unternehmen bei dieser ZVEI-Initiative mit dabei?
Markus Kiele-Dunsche, Lenze: In der Standardisierung von Informationsmodellen, wie sie der ZVEI und viele andere Partner mit der Industrie-4.0-Verwaltungsschale verfolgen, sehen wir ein riesiges Potenzial für die Vereinfachung und Beschleunigung von Prozessen in der Industrie. Ein konkretes Beispiel ist das digitale Typenschild. Es wird nicht nur die Arbeitswelt vereinfachen, sondern auch Ressourcen schonen. Denn es macht Dokumentation zuverlässig und digital verfügbar.
Heute muss die Dokumentation aufgrund der Maschinenrichtlinien noch in Papierform jeder Komponente beigelegt werden. Der Maschinen- oder Anlagenbauer erhält also in der Regel das gleiche Papierdokument in mehrfacher Ausführung, obwohl er diese zeitgemäss digital konsumiert. Für uns als Anbieter von Automatisierungslösungen und -komponenten ist das ein längst überfälliges Thema. Darum engagieren wir uns in dieser Initiative.
Ablösung der Papierdokumention durch das Digitale Typenschild
Welches war das erste Produkt, für das Sie mithilfe des «Digitalen Typenschilds» die produktbegleitende Papierdokumentation abschaffen konnten?
Emanuel Lang, Siemens Schweiz: Alle unsere Antriebstechnik-Komponenten werden mit einem 2D-Datamatrix-Code gelabelt, der die Produktseriennummer, -artikelnummer und optional kundenspezifische Informationen beinhaltet. Zielsetzung war es, die Produktinformationen maschinenlesbar bereitzustellen, um Prozesse digitalisieren und optimieren zu können.
Die bestehende Papierdokumentation wurde auf ein Minimum reduziert, allerdings haben Hersteller normative und rechtliche Vorgaben bezüglich zwingend mitgelieferter Produktdokumentation. Das betrifft vorwiegend sicherheitsrelevante Themen und Lizenztexte. Sollten sich die Rahmenbedingungen künftig ändern, ist Siemens für die vollständig digitale Dokumentation bestens vorbereitet.
Markus Kiele-Dunsche, Lenze: Wir sind vorbereitet, doch leider erlauben die Maschinenrichtlinien zum heutigen Stand die Umstellung noch nicht. Es gibt jedoch die Zusage seitens der deutschen Regierung, diese anzupassen und so eine ausschliesslich digitale Bereitstellung der Dokumentation zu ermöglichen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, was wir hoffen, dann werden wir das digitale Typenschild mit den digitalen Dokumenten für alle Hauptproduktreihen sehr schnell umsetzen können.
Neue Services dank digitalisiertem Typenschild
Die Digitalisierung des althergebrachten Typenschildes soll neue und zusätzliche Services ermöglichen. Welche hat der Anwender von Ihnen zu erwarten?
Emanuel Lang, Siemens Schweiz: In der Antriebstechnik bietet Siemens über verschiedene Applikationen die Möglichkeit zusätzliche Informationen und Services digital zur Verfügung zu stellen. So können beispielsweise über «Spares on Web» produktspezifische Ersatzteillisten abgerufen und direkt via Industry Mall bestellt werden. Ausserdem kann über die «Simotics Digital Data App» der digitale Zwilling des Motors abgerufen werden, der ein erweitertes elektronisches Typenschild sowie die Dokumentation des Motors beinhaltet.
Markus Kiele-Dunsche, Lenze: Ja, das ist richtig! Sobald ich die ID, also den konkreten Identifikator eines Produktes habe, kann ich daran verschiedene Services hängen. Zu einer Lenze-spezifischen Materialnummer lassen sich schon heute service-basiert technische Daten abfragen und Dokumentationsseiten zum konkreten Produkt generieren. Zusätzlich erhalte ich produktspezifische 3D-Modelle, die ich in verschiedensten CAD-Formaten herunterladen kann oder auch ein Eplan-Makro zur Integration in meine Entwicklungsumgebung. Mit der Seriennummer kann ich weitere kundenspezifische Details zu meinem Produkt abfragen. Diese Services lassen sich einfach mit dem digitalen Typenschild verknüpfen.
In Forschungsprojekten arbeiten wir daran, unter anderem Updates und Vorhersagemodelle für Ausfälle, über moderne und sichere Mechanismen mit dem digitalen Typenschild zu verknüpfen.
Schwerpunktthema «Digitales Typenschild»
Lesen Sie in der Printausgabe #015 von Technik und Wissen die Statements weiterer Hersteller und das Interview mit Gunther Koschnick vom ZVEI, der Mit-Initiator des «Digitalen Typenschilds» ist. Zweiter Schwerpunkt ist das Thema «Innovative Zerspanungswerkzeuge».
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Digitales Typenschild ermöglicht weitere Automatisierungen
Wie verändert das «Digitale Typenschild» Ihre Arbeit und Ihre Arbeitsabläufe?
Emanuel Lang, Siemens Schweiz: Durch die Maschinenlesbarkeit haben wir intern, aber vor allem auch unsere Kunden extern, die Möglichkeit, Abläufe und Prozesse zu automatisieren. Dies betrifft zum Beispiel Ein- und Auslagerung oder Produktzuordnung in weiteren Fertigungsprozessen. Durch die Individualisierung des Codes können Maschinenhersteller (OEM) zusätzlich eigene Inhalte integrieren und so den Mehrwert des 2D-Data-Matrix-Codes noch einmal erhöhen.
Zusätzlich kann Produktdokumentation, wie das Betriebshandbuch, schnell und einfach über mobile Apps aufgerufen werden, wodurch Zeit und Aufwand im Wartungsprozess eingespart werden.
Markus Kiele-Dunsche, Lenze: Unser Ziel ist es, alle erforderlichen Informationen in einem «Digitalen Zwilling» an einer Stelle, dem «Single point of truth», firmenübergreifend zur Verfügung zu haben. Das verändert alles. Den autorisierten Personen stehen immer die richtigen Informationen zur Verfügung. Weitere Werkzeuge können die standardisiert abgelegten Informationen und verknüpften Services automatisiert übernehmen und nutzen. Für das digitale Typenschild heisst das, die Dokumentation kann automatisch abgelegt und aktuell gehalten werden.
Zertifikate und Herstellererklärungen lassen sich automatisch abgleichen, um etwa die Verwendung einer Maschinenlösung in anderen Ländern zu planen. Über die Daten im Typenschild hat der Nutzer jederzeit von überall einen Überblick über die verbauten Geräte einer Maschine oder Anlage. Sollte mal ein Gerät ausgetauscht werden müssen, dann findet sich eine Ersatzkomponente schnell und sicher.
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Autor: Markus Back
Bildquelle: Lenze und Siemens Schweiz
Redaktionelle Bearbeitung: Technik und Wissen
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