Im Gefolge der Corona-Pandemie überdenken zurzeit viele Unternehmen ihr Einkaufs- und Beschaffungsmanagement. Hilfestellung bei der Lieferantenbewertung und -auswahl bieten inzwischen auch Softwareprogramme.
«Die Stabilität unserer Lieferkette ist ein zentraler Erfolgsfaktor unseres Unternehmens.» Das haben in den zurückliegenden Monaten viele Entscheider in den Unternehmen erkannt. Denn bleiben die für ihre Leistungserbringung erforderlichen Materialien und Vorprodukte aus, steht ihre «Produktion» still. Also können sie auch nichts an ihre Kunden ausliefern. Und dies führt wiederum schnell zu einer Ebbe in ihrer Kasse, selbst wenn die Auftragsbücher voll sind. Diese schmerzhafte Erfahrung haben seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie viele Unternehmen gesammelt.
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Viele Lieferketten erweisen sich als sehr fragil
Wie angespannt die Lieferkapazitäten aktuell in vielen Branchen sind, verdeutlichen vom IFO-Institut im September veröffentlichte Zahlen. Ihnen zufolge klagen zurzeit 70 Prozent der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes darüber, dass Liefer-Engpässe ihre Produktion behindern. Am stärksten betroffen ist die Autoindustrie (91,5 Prozent), gefolgt vom Maschinenbau (80 Prozent).
Auch von den Herstellern elektronischer Produkte klagen 4 von 5 über Lieferprobleme. Dabei bleibt jedoch unklar, welche Unternehmen hiermit konkret gemeint sind. Denn Sensoren und Chips werden laut Aussagen des Unternehmensberaters Alban Maier von der Assention AG, Pfäffikon (CH), «heute in fast allen technischen Geräten verbaut». Deshalb heisst es zurzeit auch oft bei Waschmaschinen, Rasierapparaten und E-Bikes «nicht lieferbar».
Ähnliches gilt für zahlreiche Konsum- und Gebrauchsgüter wie Sneakers und Wanderschuhe, Adventskalender und Christbaumkugeln – weshalb viele Handelsunternehmen schon um ihr Weihnachtsgeschäft bangen.
Starke Nachfrage trifft auf verringerte Produktionskapazitäten
Dass ihre Lieferketten sich als so fragil erweisen könnten, hätten bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie viele Unternehmen nie gedacht. Doch dann kam das Virus und führte zu einem weltweiten Einbruch der Industrienachfrage. Also reduzierten auch viele Hersteller von Vorprodukten ihre Produktionskapazitäten. Diese fehlen nun, da die Weltwirtschaft auch aufgrund vieler staatlicher Konjunkturprogramme unerwartet schnell wieder Fahrt aufgenommen hat.
Mit der Folge, dass laut Maier «eine starke Nachfrage auf verringerte Produktionskapazitäten bei den Vorprodukten und Förderkapazitäten bei den Rohstoffen trifft». Hinzu kommt: Im Gefolge der Pandemie ist auch der weltweite Gütertransport noch gestört. Zudem fallen aufgrund von Quarantäneverordnungen in Asien, speziell China, immer wieder Produktionsanlagen und Häfen vorübergehend aus.
Dies verschärft die Logistikprobleme und lässt die Transportpreise steigen. Zudem versuchen viele Unternehmen wegen der anhaltenden Unsicherheit ihre Lagerbestände mit Vorprodukten wieder auf- und auszubauen, erklärt Maier. Auch dies verschärft die Güterknappheit und schafft Lieferengpässe.
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Bisherige Einkaufsmaximen stehen auf dem Prüfstand
Aufgrund dieser für sie neuen Erfahrung überdenken viele Unternehmen zurzeit ihr Beschaffungsmanagement. Betrieben nicht wenige von ihnen vor Corona im Einkauf ein Global Sourcing gemäss der Maxime «Gekauft wird, wo es am billigsten ist», so spielen nun «neben dem Preis und der Produktqualität zunehmend auch andere Faktoren bei ihren Einkaufsentscheidungen eine wichtige Rolle», betont der Managementberater Peter Schreiber, Ilsfeld (D).
So zum Beispiel die Liefersicherheit. Aktuell denken, so seine Erfahrung, nicht wenige Unternehmen, die bisher Verfechter einer Just-in-time-Produktion und -Bevorratung waren, darüber nach, ihre Lagerbestände künftig wieder zu erhöhen. Andere erwägen wieder mehr Komponenten selbst herstellen und verstärkt bei der Beschaffung auf «standortnahe Lieferanten» zu setzen. Zudem überdenken nicht wenige Unternehmen, so Schreiber, ihre bisherige Strategie, aus Kostengründen und administrativen Gründen die Zahl ihrer Lieferanten möglichst zu minimieren.
Stattdessen erwägen sie «für wichtige Vorprodukte, die sie bisher von einem Lieferanten bezogen, einen Zweit- und Drittlieferanten an Bord zu holen, um ihre Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zu verringern.» Den Managementberater, der auf das Thema B2B-Vertrieb spezialisiert ist, freut dies. Denn dies eröffnet nicht wenigen seiner Kunden aus dem Industriegüter-Bereich die Chance, mit Industriekunden ins Geschäft zu kommen, deren Türen ihnen bisher verschlossen waren – sofern sie diesen überzeugend darlegen können: «Wir garantieren Ihnen eine höhere Liefersicherheit, weil ….»
Lieferanten-Auswahl mit Softwareunterstützung?
Etwas anders sieht es bei den Unternehmen aus, die einen Lieferantenwechsel erwägen oder deren Zahl erhöhen möchten. Sie müssen sich zunächst eine Übersicht verschaffen, wer könnten potenzielle Lieferanten sein und diese anschliessend bewerten, damit sie eine qualifizierte Auswahl treffen können.
Dieser Prozess erfordert viel Zeit. Dies ist gerade für mittelständische Unternehmen, die keine grosse Einkaufsabteilung haben, oft ein Problem. Dieses kann eventuell ein von dem Leipziger Start-up Innolytics AG entwickeltes digitales Lieferantenauditierungsverfahren lindern. Es hilft Unternehmen laut Herstellerangaben, den für die Lieferanten-Auswahl nötigen Zeitaufwand und die damit verbundenen Risiken zu minimieren.
Das auf ISO-Normen 9001 (Qualität), 27001 (Informationssicherheit) und 26000 (Nachhaltigkeit) funktioniert wie folgt:
- Das jeweilige Unternehmen schickt seinen (potenziellen) Lieferanten den Link zu einem Fragebogen, der u. a. die Anforderungen gemäss der ISO-Norm 9001 umfasst.
- Die Lieferanten füllen den Fragebogen aus und erhalten eine Sofortauswertung mit einem Statusreport und Zertifikat.
- Die Lieferanten schicken diese beiden Dokumente an den (potenziellen) Auftraggeber zurück.
Im Idealfall erfahren Unternehmen so, laut Aussagen des Innolytics-CEO Dr. Jens-Uwe Meyer, in weniger als einer Stunde, welche ihrer Anforderungen das Qualitäts-, Informationssicherheits- und Nachhaltigkeitsmanagement ihrer (potenziellen) Lieferanten erfüllt, und können diese Infos für ihre Lieferanten-Auswahl und Vertragsverhandlungen nutzen. Angeboten wird von der Innolytics-Software neben einer kostenlosen Testversion, die das Einholen der Selbstauskünfte ermöglicht, auch eine kostenpflichtige «Enterprise-» und «Enterprise-Plus-Version».
Sie ermöglichen es Unternehmen unter anderem, eine Datenbank aufzubauen, die auflistet, welche der Anforderungen die (potenziellen) Lieferanten bereits erfüllen und wo bei ihnen noch Defizite bestehen. Bei der «Enterprise-Plus-Version» können Unternehmen zudem die Lieferantenanforderungen ihrem jeweiligen Bedarf anpassen. Dies ist im Beschaffungsprozess, so Meyer, oft nötig, «wenn sich die Marktanforderungen oder gesetzliche Vorgaben ändern.» Wie schnell dies der Fall sein kann, das hätten gerade die zurückliegenden 1,5 Jahre gezeigt.
Entscheiden müssen weiterhin die Unternehmen
Der auf Hersteller von Industriegütern und -dienstleistungen spezialisierte Berater Schreiber sieht in einer Software, wie sie Innolytics anbietet, «ein Tool, mit dem Unternehmen die Vorauswahl ihrer Lieferanten systematisieren und vereinfachen können». Steht jedoch die konkrete Entscheidung an, kooperieren wir mit dem Lieferanten A oder B, ist es gerade bei strategisch relevanten Vorprodukten und Materialien wichtig, auch die Organisation des Lieferanten kennenzulernen – um dessen Selbstaussagen zu bewerten, denn: «Papier ist geduldig».
Zudem gelte es im Vorfeld die strategische Relevanz der einzelnen Produkte und Leistungen adäquat zu bestimmen, um zu den richtigen Selektionskriterien zu gelangen und diese adäquat zu gewichten, betont Schreiber. Denn gerade die letzten Monate hätten gezeigt, «wie schnell schon das Fehlen solcher Kleinteile wie Schräubchen und Dichtungen, Sensoren und Klemmen die gesamte Produktion lahmlegen kann.»
Ähnlich sieht dies Alban Maier, speziell dann, wenn es um die Auswahl von Dienstleistern geht, mit denen der Hersteller bzw. seine Mitarbeiter fast täglich zusammenarbeiten müssen. Dann muss, so seine Überzeugung, «auch die Chemie stimmen und inwieweit dies der Fall ist, erfährt man nur im persönlichen Kontakt.»
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