Karakuri: Ohne Strom die Produktion automatisieren
Karakuri ist ein japanischer Begriff für Automatisierungssysteme, die rein mechanisch und damit ohne Strom, Antriebe, Sensoren oder Druckluft funktionieren. So lassen sich Waren und Kleinladungsträger (KLT) einfach und schnell von A nach B bewegen – nur mithilfe von Muskel- und Schwerkraft sowie mechanischen Wirkprinzipien. Doch wie gelingt die Einführung von Karakuri/Low Cost Automation (LCA) und was sind die grössten Vorteile der mechanischen Automation?
Karakuri/LCA steht für mechanische Automatisierung und ist ebenso intelligent wie kosteneffizient. Item hat die Vorteile des Konzeptes längst erkannt und begleitet Unternehmen seit einigen Jahren bei der Umsetzung von Low Cost Automation. Stefan Armbruster, Teamleiter Karakuri Applikationsteam sowie Karakuri-Trainer bei item, erläutert, welche Voraussetzungen Unternehmen für die Umsetzung von Karakuri/LCA schaffen müssen, und gibt Einblicke in die Praxis.
Karakuri und LCA ist noch kein Trend
Karakuri/LCA ist seinerzeit in Japan entstanden und anscheinend bei uns noch nicht wirklich angekommen. Was sind die Gründe dafür?
Karakuri/LCA ist zwar nur ein kleiner, aber wichtiger Bereich der Lean-Philosophie, der die kontinuierliche Verbesserung von Abläufen mithilfe mechanischer Automatisierung in den Mittelpunkt stellt. Allerdings muss dazu ein entsprechendes Umfeld geschaffen werden. Es ist nicht zielführend, die Karakuri/LCA-Anwendung durch externe Spezialisten installieren zu lassen und dann sich selbst zu überlassen. Vielmehr spielen die Mitarbeiter im Unternehmen eine zentrale Rolle. Ihre Kreativität ist gefragt, denn sie selbst entwickeln die Karakuri/LCA-Lösung. Dafür ist ein Umdenken erforderlich.
Es wird mehr Verantwortung auf den Mechaniker, Anwendungstechniker bzw. Schlosser übertragen. Dieser sollte gewisse Fähigkeiten besitzen und diese ausbauen können. Gewohnte Prozesse müssen abgeändert und festgelegte Strukturen aufgebrochen werden. Das fällt manchen Unternehmen leichter, anderen schwerer. In Japan ist man da schon viel weiter. Überdies gibt es einen weiteren Knackpunkt bei Karakuri/LCA-Lösungen: Vor Projektstart sind die Kosten für den Arbeitsaufwand und das Material schwer einzuschätzen. Das schreckt viele Unternehmen ab.
Welche Prozesse eignen sich für Karakuri-Anwendungen?
Low Cost Automation wird überall dort gewinnbringend eingesetzt, wo es um das Handling von Material geht. Intralogistische Transportprozesse lassen sich beispielsweise mithilfe von Karakuri-Brücken realisieren. Aber auch automatische Speicherregale, Stapler oder Ecklösungen können konstruiert werden. Dabei erfolgt der Transport der Waren meist in KLT. Diese sollten idealerweise ein Gesamtgewicht zwischen zwei und zwölf Kilogramm haben. Karakuri-Lösungen können diese KLT drehen, kippen, entleeren, absenken, anheben, ein- und ausschleusen. Auch Shooter-Systeme zur automatischen Materialbereitstellung sind möglich. Selbst einfachste Aufgaben lassen sich innerhalb kürzester Zeit automatisieren, um so die Produktivität zu steigern.
Lean-Philosophie und Karakuri/LCA
Welche Rolle spielt die Lean-Philosophie bei der Einführung von Karakuri/LCA?
Die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung von Karakuri-Anwendungen ist ein vorhandenes Lean-Verständnis. Schliesslich geht es darum, die Mitarbeiter in der Fertigung für wertschöpfende Tätigkeiten einzusetzen und Produktionsprozesse zu vereinfachen. Denn oft werden Zeit, Kraft und Geld verschwendet. Das betrifft komplexe Arbeitsabläufe, aber auch überflüssige Prozesse wie das Heben und Verschieben von Kisten. Daher gilt es, diese wiederkehrenden Tätigkeiten zu automatisieren, dadurch Verschwendungen zu vermeiden und sich so kontinuierlich zu verbessern. Dabei sind Fehler und Korrekturen nicht verpönt, sondern notwendig, um daraus zu lernen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Lean-Prinzipien müssen also im Unternehmen fest verankert sein und auch von der Geschäftsleitung mitgetragen werden.
Was ist darüber hinaus zu beachten?
Der Erfolg steht und fällt mit den Mitarbeitern und ihren Fähigkeiten sowie dem Handlungsspielraum, der ihnen gegeben wird. Zunächst einmal sollten alle Mitarbeiter in der Produktion frühzeitig eingebunden werden, um Akzeptanz für das Projekt und die Umsetzung zu schaffen. Dem Applikationstechniker oder Industriemechaniker kommt dann eine tragende Rolle zu. Er übernimmt Verantwortung und ist der kreative Kopf des Ganzen, sozusagen ein «Konstrukteur im Blaumann». Das muss nicht nur akzeptiert, sondern auch entsprechend honoriert werden. Es gilt, diesen Mitarbeiter zu unterstützen, seine Kreativität zu fördern und sein Fachwissen zu erweitern.
Möglichkeiten dazu bieten spezielle Schulungen, wie wir sie in unserer Lehrfabrik durchführen. Ohne entsprechende Kenntnis wird nämlich häufig der Fehler begangen, die Mechanik zuerst auf dem Papier zu entwickeln. Zielführender ist, den Prototypen zunächst zu bauen, zu verändern und so immer weiter zu optimieren. Erst im Anschluss erfolgen dann CAD-Zeichnung und Dokumentation. Idealerweise steht dem Mechaniker für die Entwicklung seines Prototyps ein eigener Bereich zur Verfügung, der von dem normalen Werkstattbetrieb abgekoppelt ist. Besteht zudem eine Kooperation mit externen Karakuri/LCA-Spezialisten, die unterstützen und beraten, steht dem Erfolg des Karakuri/LCA-Projekts nichts mehr entgegen.
Die grössten Vorteile von Karakuri/LCA
Was sind die grössten Vorteile von Karakuri/LCA?
Da ist zum einen die Umsetzungsgeschwindigkeit zu nennen. Eine Karakuri/LCA-Lösung entsteht innerhalb weniger Tage, konventionelle Automationsprojekte dagegen dauern oft Monate oder Jahre. Die Entwicklung von klassischen Sondermaschinen ist sehr aufwendig. Benötigt werden zahlreiche Bauteile, Motoren, Getriebe, elektrische Sensoren und Steuerungen sowie Programmiersoftware.
Das alles ist natürlich mit einem entsprechenden Kostenaufwand verbunden. Dieser umfasst die Anschaffung der teuren elektrischen, pneumatischen oder hydraulischen Komponenten, aber auch die notwendige elektrische Energie. Die Kosten für die Entwicklung, den Betrieb und die Instandhaltung sind enorm.
Muss die Anlage gewartet oder ein Bauteil repariert werden, ist man auf Experten angewiesen. Bei der Realisierung und dem Betrieb von Karakuri/LCA-Lösungen dagegen sind die Experten vor Ort, denn diejenigen, die die Anlage entwickelt haben, kennen sich bestens mit den Bauteilen und Zusammenhängen aus. Fehler und Stillstände werden sofort selbst behoben.
Im Ergebnis sind die Wartungskosten äusserst gering. Auch die Anschaffungskosten sind deutlich niedriger und es schlagen keine Energiekosten zu Buche, da alles rein mechanisch funktioniert. Ein unabhängiger Praxisversuch der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft hat ergeben, dass sich mit Karakuri/LCA 40 Prozent der Kosten einer traditionellen Automationslösung einsparen lassen.
Ich glaube, bei den meisten Projekten liegt die Ersparnis noch deutlich höher. Doch Karakuri/LCA lohnt sich nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern ist auch ökologisch nachhaltig und reduziert damit den CO₂-Fussabdruck von Unternehmen. Weitere Vorteile sind der modulare Aufbau der Anlagen und die Möglichkeit, das System schnell an veränderte Anforderungen anzupassen. Es lassen sich selbst einfachste Prozesse automatisieren und dadurch Abläufe im gesamten Unternehmen verbessern – und das alles verbunden mit einer gesteigerten Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter.
Lässt sich die mechanische auch mit der traditionellen Automation kombinieren und können Sie uns dazu ein konkretes Anwendungsbeispiel nennen?
Ja, wir nennen das hybride Karakuri/LCA-Lösungen. Manchmal muss man auf traditionelle Antriebe zurückgreifen, wenn beispielsweise grosse Lasten angehoben werden sollen. Entscheidend ist dann, dass die Logik in den mechanischen Bereich verlagert wird, um so auf komplexe Steuerung und Sensorik verzichten zu können.
Wir haben in einem beispielhaften Projekt für Toyota in Tschechien Lineartechnik mit Karakuri/LCA kombiniert. Dazu wurden die Mechaniker mehrfach von uns geschult – wie übrigens auch schon Mitarbeiter von anderen europäischen Toyota-Werken.
Wir führten Workshops durch und begleiteten bei der Umsetzung. Entstanden ist eine 6 Meter lange, 6 Meter breite und 5 Meter hohe Brückenkonstruktion, die einen schnellen und reibungslosen Transport von Klimaanlagen für Kleinwagen ermöglicht. Routenzüge können ungehindert unter der Brücke durchfahren, während parallel der Transport der Klimaanlagen über die Brücke erfolgt. Damit sorgt die Karakuri/LCA-Anwendung für einen effizienten Materialfluss und eine Steigerung der Produktivität.
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