In einem Mars-Antrieb steckt sehr viel mehr Standardtechnologie als vermutet! Wieso das so ist und was es für eine erfolgreiche, Standort-übergreifende Forschung und Entwicklung braucht, erzählt CTO Ulrich Claessen von der Maxon-Gruppe während einer Tasse Kaffee.
Sie haben als Verantwortlicher für Forschung und Entwicklung so manch spannendes Projekt begleitet. Gab es einmal eine Situation, bei der Ihnen der Kaffee sprichwörtlich im Hals stecken geblieben ist?
Die gab es tatsächlich! Es war die Seltene-Erden-Krise, in der sich die Preise für die von uns benötigten Magnete innerhalb kürzester Zeit nahezu verfünffacht haben. Wir haben dann natürlich sofort nach Alternativen gesucht, weil die Gefahr drohte, dass wir aus dem Business katapultiert werden. Aber zum Glück hat sich das Ganze schnell normalisiert, da die Automobilindustrie reagierte und die Magnete aus ihren Anwendungen nahm.
Haben Sie diese alternativen Wege weiterverfolgt, um für zukünftige Preissprünge gewappnet zu sein?
Das ist wegen des begrenzten Bauraums unserer Motoren leider nicht so einfach, da die kleine Bauform Magnete mit sehr hoher Leistungsdichte erfordern. Der Automobilindustrie fiel der Umstieg leichter, was letztlich die Preise wieder auf ein normales Mass rückte.
Weiterbildung für technologisch richtige Antworten
Wie wichtig ist in solchen Situationen das Fundament permanenter Weiterbildung, um schnell und mit der technologisch richtigen Antwort reagieren zu können?
Wir legen grossen Wert darauf, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ständig weiterbilden, und wir fördern diese Ausbildung auch. In meinen Themen, Technologiemanagement und Marktentwicklung, habe ich mich immer fortgebildet. Das geht hier in der Schweiz dank der Universität St. Gallen ja sehr gut. Auch besuche ich regelmässig Kunden. Ich habe mich bezüglich Konstruktions-CAD-Tools oder Ähnlichem aber nicht so intensiv auf dem Laufenden halten können. Zuletzt war ich in Hamburg zu einer Weiterbildung zum Thema «Leadership».
Wenn Sie in Hamburg waren, haben Sie als gebürtiger Bremerhavener ja mal wieder das Meer gesehen. Wie sehr fehlt Ihnen das?
«Meer oder Berge?» Da muss ich nicht nachdenken: Das Meer! Ich lebe mit meiner Familie zwar seit zwanzig Jahren hier in diesem schönen Tal, aber ich bin jetzt nicht einer, der sagt, hier bin ich zu Hause.
Mit dem Sarnersee haben Sie aber doch auch Wasser vor dem Haus!
Der schöne Sarnersee, das ist richtig. Aber auch der Vierwaldstättersee, der Bodensee oder selbst das Mittelmeer lassen sich nicht mit dem vergleichen, wo ich herkomme. Dort gibt es auch den Tidenhub, bei dem das Wasser sechs Stunden lang auf und dann wieder sechs Stunden lang abläuft. Da können Sie am Tag nur drei oder vier Stunden während des Hochwassers baden – und das ist sehr frisch. Meiner Frau gefällt das nicht so, ihr ist das warme Wasser lieber.
Demnach ist Ihre Frau nicht aus Norddeutschland?
Nein, sie kommt aus dem Toggenburg.
Maxon und die Mars-Missionen
Maxon und die Mars-Missionen
Lassen Sie uns von der Nordsee und dem Mittelmeer abheben. Maxon war an mehreren Marsmissionen beteiligt. Welches war aus Ihrer Sicht die spektakulärste Mission, eingeschlossen derer vor Ihrer Zeit bei Maxon?
Also die spektakulärste ist für mich die Mission der European Space Agency, der ESA, und heisst ExoMars. Diese sollte ursprünglich im vergangenen Jahr starten, geriet aber wegen Corona in Verzug. Nun ist diese für 2022 terminiert und dort sind wir in allen Anwendungen – in den Antrieben für das Fahrwerk und den Bohrer, wir sind im Antennenmast, den Solar Panels und selbst im Gesteinslabor vertreten, das die Gesteine im Inneren des Rovers aufbereiten wird.
Da sind Sie dann bereits im Ruhestand. Verfolgen Sie das von zu Hause aus oder dürfen Sie hierher kommen und mitfiebern?
Das ist eine gute Frage! Vielleicht lädt man mich ein? Es war natürlich geplant, dass ich diese und die laufende NASA-Mission noch aktiv begleite. Letztere ist vor einigen Wochen mit dem Roboter «Perseverance» und dem Hubschrauber «Ingenuity» gelandet. Dort sind wir beispielsweise im Roboterarm vertreten, der die Gesteine abfüllt und auf dem Mars für zukünftige Missionen zum Abholen hinterlegt. Das ist spektakulär und erregt sehr viel mehr Aufsehen als frühere Marsmissionen.
>> Artikel: MAXON MOTOREN FLIEGEN BALD DURCH DIE DÜNNE MARS-LUFT <<
DC-Motoren aus Sachseln steuern den Mars-Helikopter
Das Restrisiko bei einer Mars-Mission
Mit wie viel Restrisiko geht es in eine solche Mission?
Es ist wichtig, dass man auf Bewährtem aufbaut. Denn alles was neu ist, birgt immer auch ein gewisses Risiko. Daher verwenden wir Standardmotoren, weil wir wissen, dass diese funktionieren. Und dann gibt es erforderliche Add-ons, wir zum Beispiel strahlungsfeste Hall-Sensoren für die Kommutierung. Ausserdem achten wir drauf, dass es bei unseren Lösungen nicht zu viele Schweisspunkte gibt.
Wieso?
Weil diese nur akzeptiert werden, wenn sie vollkommen rissfrei sind. Das ist jedoch mit den Materialien, die wir einsetzen müssen, sehr schwierig hinzubekommen. Daher minimieren wir das Risiko wie gesagt durch den Einsatz von Standard-Komponenten und definieren nur etwas Neues, wenn es der Kunde unbedingt verlangt.
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Der Einsatz von Simulationssoftware
Inwieweit benutzen Sie Simulationssoftware, um solche Ausfälle rechnerisch zu minimieren?
Das ist für mechanische Systeme mathematisch sehr kompliziert. Für unsere elektronischen Komponenten ist die «Mean time between failure» entscheidend. Bezüglich der Ausfallwahrscheinlichkeit mechanischer Komponenten vertrauen wir bislang auf die klassischen Testverfahren.
Wenn Sie zu einer Mars-Mission berufen werden, was sind da die typischen Fragen, die zunächst beantwortet sein müssen, damit Sie überhaupt eine massgeschneiderte Lösung entwickeln können?
Die typischen Fragen sind immer Drehmoment, Drehzahl und Leistung, also wie auf der Erde. Mittlerweile sind diese Parameter aber nicht mehr das Thema, da wir entsprechende Antriebe im Sortiment führen. Was wir ebenfalls wissen müssen, sind die erforderliche Strahlungsfestigkeit und die Temperaturspanne. Auf dem Mars herrschen Temperaturen von minus 120 bis 20 Grad Celsius und auf dem Mond von minus 170 bis 120 Grad Celsius. Weitere Punkte sind die vorgeschriebenen Testverfahren und die Dokumentation.
Wie viel Standardmotor steckt tatsächlich in so einem Weltraumantrieb?
Sie haben es zwar schon angesprochen, aber wie viel Standardmotor steckt tatsächlich in so einem Weltraumantrieb?
Ziemlich viel, da wir ja wie gesagt auf dem erprobten Standardmotor aufsetzen. Meistens werden lediglich die Materialien ersetzt, die den rauen Weltraumbedingungen nicht standhalten würden.
Und inwieweit profitieren die irdischen Antriebe und Motoren vom Mars-Know-how?
Das ganze Unternehmen profitiert wegen den hohen Anforderungen solcher Projekte. Das zeigt sich in gesteigerten Qualitätsstandards sowie neuen Prüfverfahren und Prozessen, wovon auch Kunden aus anderen Bereichen profitieren. In der Medizintechnik ist Zuverlässigkeit das Hauptthema. Wir profitieren zum Beispiel davon, dass wir ganz genau wissen, wie wir eine Insulin- oder Herzunterstützungspumpe entwickeln müssen, damit diese zuverlässig arbeitet. Aber auch in unserem Marktsegment Maxon Aviation und in der Automobilindustrie kommt uns die in Weltraumprojekten gesammelte Erfahrung zugute.
Kreativität und Wissen beim Bau eines Mars-Antriebs
Wie verteilen sich Kreativität und Wissen prozentual beim Bau eines Mars-Antriebs?
Das ist nicht so einfach zu trennen. Wir können nicht sagen, jetzt sei mal kreativ, weil ja die Grundprinzipien dieser Mars-Antriebe erprobt sein müssen. Aber Kreativität und Wissen gehören beim Ingenieur natürlich zusammen! Und ich muss weiter fassen: Wir brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sehr gut ausgebildet sind, um dann auf unseren Standardmotoren immer wieder Neues aufzubauen - für unsere Weltraumkunden, aber auch für Kunden in anderen Branchen. Und selbst heute, nach mittlerweile über zwanzig Jahren Erfahrung in Weltraumprojekten lernen wir immer noch dazu. Das macht uns übrigens auch als Arbeitgeber sehr attraktiv, da bei uns eben Bewährtes mit Neuem kombiniert werden kann.
Weltraum-taugliche Getriebe
Es heisst, dass Sie es gar nicht mögen, wenn Ihre Motoren als einfach bezeichnet werden. Was macht denn Ihre Motoren so speziell?
Es sind vor allem die Innovationshöhe und die enorme Leistungsdichte, die unsere Motoren auszeichnet. Wobei man heute bei Maxon nicht mehr nur von Motoren sprechen kann. Wir verbinden Motoren, Getriebe und Sensoren zu einem kompakten Antriebspaket. Wir gehen vermehrt in Richtung ganze Systeme und Module. Wir sind 3000 Mitarbeiter weltweit und haben einen grossen Getriebestandort in der Nähe von Freiburg im Breisgau mit inzwischen 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Während bei den ersten Marsmissionen keine Maxon Getriebe mit dabei waren, ist es uns nun gelungen, diese mit «Mars 2020» und «ExoMars» Weltraum-tauglich zu machen.
Was braucht es, damit ein Getriebe Weltraum-tauglich wird?
Die Materialien müssen so ausgelegt sein, dass sie den hohen Belastungen standhalten. Aber auch die Lagerung und die Schmierung sind Themen, die viel Erfahrung und Wissen benötigen.
Ihre Weltraumlösungen bauen sehr kompakt. Von was für Modulgrössen sprechen wir hier bei den Getrieberädern?
Unsere Getriebe haben Modulgrössen von 0,1 bis 1,25. Parvalux-Getriebe decken den Bereich von 0,5 bis 2,75 ab.
Maxon hat sich eine globale Struktur verpasst. Dadurch befinden sich am Hauptsitz in Sachseln nun zwei Firmen – die Dachorganisation Maxon International AG sowie die Produktionsgesellschaft Maxon Motor AG.
Wir haben insgesamt vier F&E Kompetenzzentren in der Gruppe, deren Sinn es ist, unser Wissen zu bündeln, um Aufgaben effizient zu lösen. Hier in der Schweiz fokussieren wir uns auf die Themen «Motoren und Encoder» und «Motion Control», in Deutschland auf «Getriebe» und in Korea auf grössere Motoren, die auf dem genuteten Prinzip aufsetzen. Hinzu kommen regionale F&E-Zentren in China, Niederlande, Amerika und Frankreich, um direkt bei den Kunden vor Ort Aufgaben lösen zu können. In Asien erwartet der Kunde, dass er in der Landesart angesprochen wird und dass schnell reagiert wird.
Was für Vorteile bringt es speziell für Ihren Job, wenn Sie so viel Kompetenz im Headquarter haben?
Der CTO funktioniert als Center of Excellence und arbeitet eng mit den Corporate R&D Centers zusammen. Er unterstützt bei der Lösung von Problemstellungen und fördert die Innovation.
Hier in der Schweiz konnten wir in den vergangenen Jahren einen Stamm an sehr guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufbauen, die uns mit ihrer Kreativität und Wissen weiter gebracht haben. Die Schweiz mit ihrem Netzwerk an Forschungseinrichtungen, der Verknüpfung mit den Universitäten und der Vernetzung aller Akteure ist für uns als Unternehmen ideal. Das ist in Deutschland nicht so ausgeprägt, allein schon wegen der Grösse.
Informationsaustausch aufrecht erhalten und fördern
Ich könnte mir vorstellen, dass die Koordination eine sehr grosse Herausforderung ist. Was muss man sonst noch beachten, dass es reibungslos läuft?
Der wichtigste Punkt ist, dass alle Beteiligten zusammenarbeiten, miteinander reden und Informationen austauschen. Das Antriebsgeschäft lebt davon, dass Information und Erfahrungen für alle verfügbar sind. Oft ist es so, dass sich Forschungszentren in den einzelnen Ländern gegeneinander abgrenzen. Eine Aufgabe von mir ist es, diesen Austausch aufrecht zu erhalten und zu fördern, weil dieser einen grossen Teil unseres Erfolgs ausmacht.
Zur Person Ulrich Claessen
Ulrich Claessen, geboren 1956 im deutschen Bremerhaven, studierte Physik an der Technischen Universität München, wo er 1986 promovierte. 1998 erwarb er an der Universität St. Gallen den Executive MBA. Berufliche Stationen waren Siemens in München, ABB in Zürich und das Innovationszentrum des CSEM in Alpnach, das er aufgebaut hat. 2007 wechselte Ulrich Claessen zur Maxon motor AG in Sachseln, wo er in der Geschäftsleitung für Forschung und Entwicklung tätig war. Seit 2020 ist er CTO der Maxon Gruppe. Der 65-Jährige ist Mitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften und Mitglied des Vorstandes des Technoparks Luzern. Er lebt mit seiner Familie in Obwalden.
Und wie gewährleisten Sie diesen Austausch? Haben Sie regelmässige Treffen oder wird dieses Wissen vielleicht sogar in eine Datenbank eingepflegt?
Vor Corona haben sich die Leiter der einzelnen Zentren mindestens zweimal im Jahr getroffen und sich gegenseitig die neuesten Entwicklungen vorgestellt. Zusätzlich gab es viele Reisen. Wir haben darauf geachtet, dass man sich persönlich kennt, denn das Wissen geht über Köpfe beziehungsweise über Personen. Die Formalisierung dieser Zusammenarbeit mit einer Software haben wir bislang nicht eingeführt, ist aber ein guter Hinweis von Ihnen.
In Lausanne betreibt Maxon neuerdings ein Innovation Lab. Wodurch unterscheidet sich dieses denn jetzt von einem Forschungs- und Entwicklungszentrum?
Die Labs, neben der EPFL haben wir noch eines in der Nähe der ETH Zürich und auf dem Campus in Horw, stehen im Gegensatz zu unseren Forschungs- und Entwicklungszentren auch Partnern und Studierenden offen. Wir versprechen uns davon einen regen Austausch mit Technologie-Spezialisten und einen verstärkten Zugang zur aktuellen Forschung, indem wir Studierenden beispielsweise die Möglichkeit für Masterprojekte anbieten. Durch diese Labs können wir innovative Projekte von jungen Talenten auch technisch und finanziell unterstützen, ihnen Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und sie so im Idealfall an Bord holen.
Labor für Robotics
In Zürich baut Maxon ein Labor für Robotics auf. Auf welche Schwerpunkte wird sich dort konzentriert werden?
Anlass zu dieser Gründung war unsere Zusammenarbeit mit der Firma Anybotics, die im vergangenen Jahr den Swiss Economic Award gewonnen hat. Dieses Start-up der ETH Zürich hat sich auf gehende Inspektionsroboter spezialisiert. Durch die Kooperation erfahren wir, was die Anforderungen im Markt für robotische Systeme sind und können so die geeigneten Antriebsmodule, bestehend aus Motor, Getriebe, Steuerung und Sensor, liefern.
Mit diesem Labor bekommen wir aber auch eine Nähe zum Robotics-Cluster der ETH, weil wir nicht warten können, bis dieser zu uns kommt. Die Robotik hat Maxon einen Auftrieb gegeben und wir werden dieses Thema nach Asien ausweiten, weil die Koreaner sehr stark in der Robotik sind. Das sind unsere Zukunftsthemen, die wir jetzt starten und die ich noch aufgleisen kann.
In der neuesten Folge des ETH Zürich #Podcasts stellen wir das ETH-Spin-off @ANYbotics und ihren hundeähnlichen Roboter #ANYmal vor. Wie können potentielle Kunden von dessen Fähigkeiten überzeugt werden? Jetzt reinhören! https://t.co/7HWzhgyaMJ pic.twitter.com/C0OHLXR6bw
— ETH Zürich (@ETH) January 17, 2019
Aufgleisen deshalb, weil Sie zum Jahresende altershalber ausscheiden. Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?
Ich wünsche meinem Nachfolger Erfolg und auch etwas Glück und dass er mit neuen Ideen und einem frischen Blick an die Aufgaben herangeht und hierbei wie ich all die Jahre die volle Unterstützung der Unternehmensleitung hat.
Weiter im Printmagazin «Technik und Wissen»
Ausgabe #012
Lesen Sie in der Printausgabe «Technik und Wissen», welch erstaunliches Ziel sich Ulrich Claessen für seine Zeit nach Maxon gesetzt hat.
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Impressum
Autor: Markus Back, Chefredaktor Print
Fotos: Susanne Seiler
Publiziert von Technik und Wissen
Informationen
Maxon Motor AG
maxongroup.com
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